Kapitel II. Die ältesten Karten

 

8. Münster's Herausgabe von Tschudi's Rhätia.

Zu den ersten Verdiensten, welche sich Münster um sein Adoptivvaterland erwarb, gehört entschieden, dass er die bereits besprochene Karte von Tschudi, welche ohne ihn wohl nicht so bald, ja vielleicht nie, an die Öffentlichkeit getreten wäre, mitsamt der zugehörigen Schrift bald nach ihrer Vollendung publizierte, — sich allerdings dabei einer etwas starken Indiskretion schuldig machend (1): Als nämlich Glarean im Jahre 1538 seinen frühern Schüler Tschudi in Glarus besuchte, fand er denselben gerade mit Umarbeitung seiner bereits erwähnten Jugendschrift, der Beschreibung der alpischen Rhätia, beschäftigt. „Der fromm Herr", erzählt Tschudi selbst in seiner Gallia comata (2) , „als er blos ein Blat las, ward begirig, das Büchli gar zu durchlesen, bat mich, Im ze überantworten, besorgt, ich were hinlässig, und wurd die Emendirung lang verziehen. Er welts allein Im selbs behalten, und innert zweien Monaten mir von Friburg us Brisgöw, da er wonet, wieder haruf gen Glarus senden. Ich beklagt mich, es were an vil orten irrig und gar ungebütlet; aber er wolts entlich haben, wie es ioch were; also gab ich Ims" (3).

Glarean nahm nun das Werkchen wirklich nach Freiburg mit, zeigte es dort seinem ihn eben besuchenden Freunde Münster, und anvertraute es ihm nach dessen inständiger Bitte für einige Tage. Letzterer, welchem die Arbeit Tschudi's überaus wohl gefiel, liess dieselbe nun sofort copiren, und, ohne Tschudi dafür zu begrüssen, unter dem Titel: „Die uralt warhafftig Alpisch Rhetia, sampt dem Tract der anderen Alpgebirgen, nach Plinij, Ptolemei, Strabonis, auch anderen Welt unn gschichtschrybern warer anzeygung, durch den Ehrnvesten und wysen herren, herr Gilg Tschudi von Glarus, ettwo im Sarganserland, darnach zu Baden im Ergöw, gmeiner Eydgnossen Landvogt, in Tütsch spraach zusamen getragen, und yetz mit einer Geographischen tabel ussgangen. Getruckt zu Basell 1538" erscheinen (4) , — ja veranstaltete sogar noch gleichzeitig auch eine lateinische Ausgabe unter dem Titel „Aegidii Tschudi Claronensis, de prisca ac vera Alpina Rhaetia cum caetero Alpinarum gentium tractu. Basilese 1538", welch Letzterer er eine Zuschrift an Tschudi vorsetzte, während er sich bei der deutschen Ausgabe gar nicht nannte.

Als Tschudi von der Veröffentlichung seines Werkes Nachricht erhielt, war er anfänglich über das Benehmen Glareans heftig erzürnt, und äusserte in einem Briefe an denselben sein ernstes Missfallen über den ihm gespielten treulosen Streich. Glarean entschuldigte sich bei Tschudi damit, dass Münster ohne sein Vorwissen gehandelt habe (5) , und als Letzterer von Tschudi's Unwillen Kenntniss erhielt, ging er selbst nach Glarus um ihn zu bitten „das so er getan nit in argem uffzenemmen, dan es im besten geschehen, habe vermeint Tschudi's Namen und Ruhm damit zu erhöchen."

Tschudi liess sich durch diese Erklärung beschwichtigen, und äusserte sich später gegen Simmler nach Erzählung der vorstehenden Geschichte (6) : „Der gut Herr Münsterus hats im Besten geton, aber unzytig, dann ich etwas ze endern und ze bessern gesinnt war." — Trotzdem einer zweiten, wenigstens sehr nahe unveränderten, und nur durch den Herausgeber, Konrad Wolfhart von Ruffach genannt Lycosthenes (7) , mit einem sofort zu besprechenden „Zeiger" vermehrten Ausgabe der Rhasetia, welche 1560 wieder zu Basel und ebenfalls wieder in beiden Sprachen aufgelegt wurde, die „Geographische tabel" neuerdings beigegeben war, würde deren Existenz, da sie bei allen Exemplaren der Schrift zu fehlen scheint (8) , total bezweifelt werden, wenn sie sich nicht zum Glücke auf der Bibliothek von Basel wenigstens in Einem Abdrucke erhalten hätte (9) , — trotzdem Münster die erwähnte Zuschrift an Tschudi mit den Worten begann: „Mitto ad te, hum. vir., opus tuum, tabulam scilicet Alpinarum regionum, cum adjuncto libello", die doch wohl keinen Zweifel übrig lassen.

Die Karte selbst, deren Original kaum mehr vorhanden sein dürfte (10), ist nach dem Basler-Exemplare bereits einlässlich besprochen worden (11), so dass nur noch Einiges in Beziehung auf die Herausgabe beizufügen bleibt: Vor Allem ist zu erwähnen, dass man auf dem mittlern Blatt der obern Reihe die Zuschrift „Sebastianus Munsterus Cosmogra-phiae Studiosis S. D. Descriptionem Rhaetiae, Helvetiae, Sedunorum ac majoris partis Alpium, ab Aegidio Tschudo Claronensi V. C. apud Helvetios factarn et crebris ejusdem discursibus per multos annos summa vigilantia paratam, nostro vero marte adornatam ex officina Michaelis Isingrien, tibi candide lector exhibemus, rogantes ut hujus celeberrimi viri exemplo, studiosi quique patriis suis illustrandis consimilem operam impendant" liest, welche wohl auch den Ungläubigsten überzeugen dürfte, dass die Karte schon der ersten Ausgabe der Rhaetia beigegeben war, und nicht etwa erst durch Lycosthenes veröffentlicht wurde. Die durch diesen Letztern ausgegebenen Exemplare der Karte haben dann allerdings einerseits das Eigentümliche, dass ein breiter Rand mit den Wappen der 13 alten und der 14 zugewandten oder zugehörigen Orte aufgeklebt ist, und anderseits, dass sie eine Art Gradtheilung besitzen, auf welche sich der bereits erwähnte „Zeiger" bezieht, und zu deren Benutzung Lycosthenes auf einem in die Karte eingeklebten Blatt „Vom brauch der abtheilung und regel durch welcher hilff du alle örter one arbeit finden magst" Anleitung gibt: Es ist nämlich der Kartenrand theils von links nach rechts, theils von oben nach unten je in 80 Theile (gewissermassen in Längengrade und Breitengrade) eingetheilt, und sodann in dem „Zeiger", d. h. in dem von Lycosthenes dem Texte angehängten alphabetischen Verzeichnisse sämmtlicher in der Karte vorkommenden Objecte, jedem dieser Letztern die Längenzahl und |Breitenzahl beigesetzt, unter welcher man dasselbe in der Karte aufzusuchen hat.

Zum Schlusse ist noch zu erwähnen, dass die Karte von Tschudi nicht nur ohne allen Zweifel die Hauptgrundlage der später von Münster, Stumpf, etc. herausgegebenen Schweizerkarten bildete, sondern dass sie unter dem Titel „Helvetiee descriptio Aegidio Tschudo auctore" von mehreren ausländischen Kartographen für ihre Sammelwerke einfach reducirt wurde: So z. B. ist die von Abraham Ortelius in seinem 1595 ausgegebenen Atlas unter obigem Titel aufgenommene Schweizerkarte von 45 auf 34 cm., wohl nichts Anderes als eine solche Reduction, da sie mir nahezu denselben mittlern Fehler und sogar nahe gleiche und namentlich gleichliegende - Fehler-Extreme ergab (12). — Eine eigentlich neue Ausgabe der Tschudi'schen Karte, die wohl wenigstens einige Verbesserungen enthalten hätte, und vielleicht mit der Gallia comata erscheinen sollte, wurde noch bei Lebzeiten des Verfassers, und zwar muthmasslich in Zürich, beabsichtigt, da Tschudi am 1. August 1569 aus Schännis an Simmler schrieb: „Die Mappa unser Eidgnossschaft, so ich uech geben, bit ich uech, so sie in truck uss gon wurd, mins Namens nit ze gedenken, als ob es durch mich ernüwert; dann mich wurd der Rum nit fröwen und zewider sin. Man mag auch wol melden, dass die Mappa, so etwa von mir ussgangen, gemert und gebessert sig, aber nit, dass ichs geton- und gemacht hab." Aber ausgeführt wurde diese Absicht wohl nicht, und von der an Simmler abgegebenen „Mappa", in welche Tschudi seine Verbesserungen eingetragen zu haben scheint, ist auch keine Spur mehr zu finden.