Kapitel IV. Die Arbeiten der Scheuchzer

 

30. Die beiden Scheuchzer.

Der Zürcher-Stadtarzt Joh. Jakob Scheuchzer hinterliess bei seinem frühen Tode im Jahre 1688 (1) neben andern Kindern zwei sehr talentvolle Söhne: Joh. Jakob und Johannes.

Joh. Jakob Scheuchzer, der 1672 geboren wurde, durchlief erst die Schulen seiner Vaterstadt, erhielt dann durch die Stadtärzte Joh. Jakob Wagner und Johannes von Muralt einen vorbereitenden Unterricht in der Medicin, und besuchte 1692 die Universität Altorf, 1693 diejenige in Utrecht, an letzterem Orte sich 1694 den medicinischen Doctorhut erwerbend.

Im Jahre 1695 kehrte er nochmals nach Deutschland zurück, um sich bei Joh. Christoph Sturm in Altorf und Joh. Georg Eimmart in Nürnberg noch specieller in der reinen und angewandten Mathematik auszubilden, und setzte sich dann 1696 in seine Vaterstadt als praktischer Arzt (2) , wo er alsbald zum Polyater oder zweiten Stadtarzt gewählt wurde, daneben Privatvorlesungen über verschiedene Gebiete der Naturwissenschaften hielt, ganz besonders aber sein unermüdliches Wirken als Naturforscher und Geograph begann. Im Jahre 1710 wurde er Professor der Mathematik und Anfang 1733 nach dem Tode von Muralt dessen Nachfolger als Chorherr, Professor der Physik und oberster Stadtarzt oder Archiater, starb aber leider schon wenige Monate nachher.

Es würde hier zu weit führen auf alle die grossartigen Leistungen Scheuchzer's im Gebiete der Naturwissenschaften, der Vaterlandskunde und der Geschichte (3) näher einzutreten (4) ; ich muss mich darauf beschränken seine Verdienste um die schweizerische Topographie, Ortsbestimmung und Höhenmessung hervorzuheben, wie diess unter den folgenden Nummern geschehen soll. Jedoch kann ich mir nicht versagen noch zu betonen, dass Scheuchzer auch dadurch für unser Land eine grosse Bedeutung gewann, dass er in einer finstern und den realen Kenntnissen nichts weniger als holden Zeit, unbeirrt das Panier der exacten und inductiven Wissenschaft aufrecht erhielt, und sich wenig darum bekümmerte, dass ihn seine geistlichen Amtsbrüder als Copernicaner verzeigten und für einen Freigeist hielten.

Zu den Verdiensten von Joh. Jakob Scheuchzer gehört, dass er seinen 1684 gebornen
Bruder Johannes Scheuchzer, dessen Erziehung er nach dem frühen Tode des Vaters zu leiten hatte, von Jugend auf in die Naturwissenschaften und in die Medicin einführte, für welche derselbe ebenfalls ungewöhnliche Begabung zeigte. Von seinem 19. Jahre an hielt sich dann allerdings Johannes ebensoviel ausser als in seiner Vaterstadt auf, — bald als Militärarzt in holländischen Diensten stehend, — bald den Grafen Marsigli auf seinen Reisen durch Holland, Deutschland und Italien begleitend, — bald in Zürich Kaufmannsgeschäfte betreibend oder für die Stadtbibliothek einen Universalcatalog anlegend,— bald wieder wissenschaftlich, und zum Theil in Verbindung mit seinem ältern Bruder, mit Naturgeschichte, Medicin und Mathematik beschäftigt, und mit den namhaftesten Gelehrten eifrig correspondirend. Beispielsweise mag angeführt werden, dass er 1706 mit einer „Dissertatio de Matheseos usu in Medicina" zu Basel promovirte, — 1712 als Feldarzt und zugleich als Ingenieur die zürcherischen Truppen begleitete (5) , — 1719 seine jetzt noch von den Botanikern als classisch bezeichnete „Agrostographia" herausgab (6) , — etc. Leider ging sein sehnlicher Wunsch eine Professur in Padua zu erhalten nicht in Erfüllung, und auch die ihm in seiner Vaterstadt für die Dienste als Bibliothecar in Aussicht gestellte Professur der Geschichte fiel durch Gunst einem Andern zu; dagegen wurde er 1723 zum Landschreiber der Grafschaft Baden ernannt, und als Bruder Joh. Jakob 1733 starb, wurde er berufen demselben als Oberstadtarzt, Professor der Physik und Chorherr zu folgen, — eine Nachfolge, welche er bis zu seinem 1738 erfolgten Tode in trefflichster Weise versah.