Kapitel IV. Die Arbeit der Scheuchzer

 

33. Die Ortsbestimmungen.

Die Zeit der Scheuchzer zeichnete sich auch dadurch aus, dass man anfing grössern Werth auf zuverlässige Ortsbestimmungen zu legen, und neben den Angaben auch über die benutzten Instrumente oder Methoden Nachricht zu geben. Schon aus älterer Zeit sind solcheAngaben vorhanden, von denen einzelne bereits mitgethetlt worden sind (1) , und andere aus dem Tableau

Tabelle Ortsbestimmungen

ersichtlich werden; aber sie wurden meistens ohne jede Kritik, wie man sie eben fand, neben einander gestellt, und so gab z. B. Kepler's Tochtermann, der sonst so tüchtige Jakob Bartsch, noch 1624 in seinem „Planisphaerium stellatum" ganz gemüthlich einerseits an, die Polhöhe von Zürich betrage 47° 9', und anderseits diejenige von Tigurum Helvetiae sei
47° 22'.

Ob Fäsi (2) , der Zeitgenosse von Scheuchzer, die von ihm für Zürich gegebene Lage selbst bestimmte, und, wenn er diess that, welche Methode er dafür anwandte, weiss ich nicht; dagegen fand ich in s. Handexemplare der „Deliciae", das ich seinerzeit auffand, und zu s. Andenken auf der Stadtbibliothek in Zürich deponirte, eine später von ihm gemachte Bestimmung, welche ich, als erste Messung der Zürcher-Polhöhe auf bekanntem Wege, hier im Detail mittheilen will:
Fäsi machte dieselbe 1715 V 19 mittelst eines kleinen Gnomons, der aus einem „ganz fleissig nach dem winckel Haaggen in all weg zubereiteten parallelipipedum" bestand, das auf eine mit der Setzwage horizontal gestellte „wolgeschliffene ebene Steinene Blatten" aufgesetzt, und von dem eine Kante zum Schattenwerfen benutzt wurde. Die Länge der mittägigen oder kürzesten Schatten gleich 100 setzend, fand er die Höhe des Gnomons gleich 192, also die Tangente der Sonnenhöhe gleich 1,92 oder diese selbst gleich 62° 30', während ihm die Tafeln für diesen Tag 19° 43' als Sonnendeclination gaben. Die Differenz 42° 47' war die Aequatorhöhe, und ihr Complement 47° 13' die gesuchte Polhöhe. Dass bei einer Messung dieser Art, wo (abgesehen von der hier kaum in Betracht kommenden Refraction) die verschiedensten Fehlerquellen zusammenkommen, schon grosse Sorgfalt nöthig ist um die Höhe des Gnomons auch nur auf eine Einheit genau zu bekommen, wird Niemand bestreiten wollen; ersetzen wir aber 192 durch 192 ± 1, so finden wir, alles Uebrige beibehaltend, die Polhöhe gleich 47° 13' ± 10', und es ist daher Fäsi zwischen den für ihn bestehenden Fehlergrenzen geblieben, hat also Alles geleistet, was man von ihm fordern konnte.

Ungefähr gleichzeitig (3) bestimmte Scheuchzer selbst die Polhöhe von Zürich ganz richtig zu 47° 22'; leider wird aber nichts Näheres über s. Verfahren mitgetheilt,nur kann man schliessen, dass er wesentlich bessere Hülfsmittel als Fäsi besass, denn es geht aus mehreren Briefen von Macquart in Paris hervor, dass Scheuchzer wiederholt mathematische Instrumente von ihm bezog, so z. B. „un demi cercle avec des lunettes, au lieu de pinnules, du prix de 100 Livres."

Christoph Fatio (4) setzte in einem Schreiben an s. Bruder (5) die Breite von Genf sehr nahe richtig auf 46° 12' fest, muthmasslich in Folge von Bestimmungen, welche er mit einem dreifüssigen Quadranten von Butterfield, den er später der Genfer-Bibliothek schenkte, gemacht hatte. In demselben Schreiben theilte er s. Beobachtungen der Sonnenfinsterniss von 1706 mit, und setzte die Länge von Genf gleich 16m 35s, — während (6) Jacques Cassini, durch Vergleichung von Fatio's Beobachtungen mit den in Paris gemachten, aus dem Anfange der Sonnenfinsterniss 16m 32s, aus dem Ende 17m 2s, und aus einer von Antoine Gautier (7) 1707 beobachteten Mondsfinsterniss 17m 28s, also im Mittel 17m 1s erhielt, — Doppelmayr aber im Mittel aus mehreren von Gautier und Pierre Violier (8) beobachteten Finsternissen 16m 2s fand, — so dass im Mittel aus allen drei Angaben die um circa 5/4m zu grosse Länge 16m 33 s hervorgeht. — Aus Beobachtungen derselben Mondsfinsterniss von 1707, welche Joh. Jakob und Johannes Scheuchzer in Zürich machten, wurde (9) durch Maraldi die Längendifferenz zwischen Paris und Zürich gleich 28m, d. h. um etwa 3m zu gross gefunden.