Kapitel IX. Der Schweizer-Atlas von Meyer.

 

83. Der Schweizer-Atlas von Meyer.

Als im Jahre 1796 das erste Blatt des Meyer'schen Schweizer-Atlas zum Erscheinen bereit war, und Weiss dasselbe in s. grossartigen Manier als eine trigonometrisch aufgenommene und in stereographischer Projection gezeichnete Karte öffentlich ankündigte, wurde Tralles, der bisdahin Weiss immer an die Hand gegangen war, über diese Aufschneiderei ärgerlich, und bestritt Ersterem öffentlich das Recht s. Karte solche Titel beizulegen.

Weiss wusste nun zu s. Verteidigung nichts Besseres zu thun als Tralles des Eigennutzes zu zeihen, und überhaupt s. Charakter zu verdächtigen, und so entspann sich alsbald eine, bei der grossen Heftigkeit der beiden Kämpfer eben nicht sehr delicate literarische Fehde (1), die nicht eher ruhte, als bis sich die Bernerische öconomische Gesellschaft (2) in die Sache mischte, Tralles vertheidigte, und folgende bestimmte Erklärung und Forderung publicirte:

„Jusqu'au moment où Mr Weiss aura indiqué sa marche, le point dont il est parti et ceux qu'il a parcouru succesivement, et surtout où une partie au moins de ce réseau sera dans les mains de Mr le Colonel Kirchberger, ancien Seigneur-baillif de Gottstatt et Président de la Société, les soupçons les mieux fondes planeront sur l'ouvrage et sur la véracité de son auteur, et si cette copie qui demande bien peu de temps et de travail, n'est pas remise d'ici à un mois à Mr le président, rien ne pourra l'empêcher de conclure que l'ouvrage de Mr Weiss ne Supporte pas l'examen du géomètre."

Weiss, der den unangenehmen Handel durch s. Grossmauligkeit in leichtsinnigster Weise provocirt hatte, besass natürlich nichts zum Vorlegen, und, während er bis dahin in s. Bescheidenheit immer nur von seiner Karte gesprochen, war ihm nun plötzlich Meyer gut genug um sich hinter ihn zu verstecken.

Dieser war bereits durch die von anderer Seite ausgesprochene Anklage, die Veröffentlichung der Karte grenze nahezu an Landesverrath, tief verletzt, und schrieb nun in ziemlich empfindlichem Tone an die öconomische Gesellschaft:

„Ich hätte erwarten sollen, man würde mir gesagt haben: Willkommen Meyer! Du kommst uns eben recht! So eine Karte war unser Wunsch. Lass' uns sehen, ob sie ganz nach unserm Willen sei. Zeige uns die Verfahrungsweise an. Wenn wir etwas unvollkommenes sehen, so wollen wir's sagen. Sie soll der strengsten Kritik unterworfen und alles Mangelhafte verbessert werden. Denn wir wollen einem so grossen und kostbaren Unternehmen hülfreiche Hand leisten.

Statt dessen wird mein Werk verdächtigt. Uebrigens ist dies kein Werk der Gewinnsucht, sondern ein Lieblingsunternehmen. Nie werde ich auch nur die Hälfte der ausgelegten Summe zurückbringen. Ich hange von der Sache gar nicht ab. Niemand soll durch mich betrogen werden; Jeder kann sein Geld wieder haben, wenn er will. Weiss niemand das Werk zu schätzen, so behalte ich die übrigen Zeichnungen zurück, und lege die ganze Sache schlafen."

Dieser Auffassung musste die Gesellschaft natürlich entgegentreten, und erklärte daher in einer 1797 VII 13 an Meyer erlassenen Antwort (3), dass sie zwar die Sache selbst als entschieden und abgeschlossen betrachten müsse, dass aber ihn persönlich kein Vorwurf treffe, und fügte noch bei:

„Ihre Verdienste um Künste und Wissenschaften, um Beförderung alles Guten und Gemeinnützlichen sind bekannt, und die gerechte Belohnung derselben, das Bewusstsein, zu so vielem Vortrefflichem nach bestem Vermögen mitgewirkt zu haben, hängt nicht von dem Ausgange eines einzelnen Unternehmens ab, dessen Misslingen in den Augen eines billigen Publikums nur auf den zurückfallen kann, der Ihrem mit so nachdrücklicher Unterstützung verbundenen Zutrauen nicht entsprach, und was er sich anheischig gemacht, nicht zu leisten im Stande war." —

Trotz diesem für Weiss nicht gerade sehr schmeichelhaften Abschlüsse des Streites ging es nun mit der Publication der Karten rasch vorwärts, so dass 1802 alle Specialkarten in den Händen des Publikums waren, und bald darauf auch noch die versprochene Generalkarte erscheinen konnte.

Für Erstere war die Schweiz von Nord nach Süd in vier Schichten, und jede derselben wieder von West nach Ost in vier Blätter abgetheilt worden, — so dass der Atlas 16 Blätter erhielt, von welchen 6 und 7, sowie 10 und 11 der Mitte entsprechen, während alle übrigen Randblätter sind (4).

Jedes dieser Blätter, von welchen das erst-erschienene Blatt Nr. 7 durch M. G. Eichler gestochen wurde, während die meisten übrigen aus dem Atelier von C. Guérin in Strassburg hervorgingen, und nur einige Randblätter durch Scheurmann in Aarau (5) verfertigt sind, misst 71 auf 52 cm., ist im Allgemeinen gut orientirt, zeigt eine nicht üble, das Auge bestechende und für den ersten Anblick manche Fehler maskirende Bergzeichnung, und eine etwas variab-le, doch meistens „Leve et dessine par J. H. Weiss aux frais du Cit. J. R. Meyer a Arau" lautende, den hervorragenden Antheil von Müller an den innern Blättern total ignorirende Signatur.

Von Specialitäten mag vorläufig nur ein auf Blatt 14 angebrachtes und also mit ihm von 1798 datirendes „Avertissement" angeführt werden, in dem man ausser der halb eine Entschuldigung halb aber auch eine Reclame enthaltenden Phrase
„Les montagnes étrangères aux limites de l'Helvétie, que présente cette feuille, n’ont pas été levées sur les lieux, elles sont ajoutées d'après les meilleures cartes connues; cependant l'auteur a pû, du haut de quelques sommités glaciales découvrir et fixer des vallées de glace très considérables qui se trouvent dans cette contrée montagneuse et dont le développement n'avait pas été connu jusque-ici",
trotz der im Jahre zuvor für ähnliche Windmacherei erhaltenen Ohrfeigen, den Satz
„L'Auteur publiera par la suite ses propres observations qu'il a recueillies sur la Suisse dans le cours de ses voyages, et y ajoutera la Carte hydrographique de ce pays, comprenant le réseau trigonométrique qui a servi de fondement a son Atlas" liest.

Die Uebersichtskarte endlich, welche Meyer nachträglich durch Weiss, statt der von diesem ohne Erlaubniss publicirten, in dem eben mitgetheilten Avertissement angekündigten „Carte hydrographique" von 1798 (6) anfertigen liess, hat dieselbe absolute Grösse wie die Einzelblätter (7), zeigt den Titel „Carte générale de l'Atlas Suisse. Levé et déssiné par J. H. Weiss. — Aux dépens de J. R. Meyer à Aarau. — Grave par Guérin et Scheurmann", und macht auf den ersten Anblick den Eindruck von einem erheblichen Fortschritt gegenüber allen frü-hern Karten (8). —

Ehe ich über den eigentlichen, aus näherer Prüfung hervorgehenden Werth dieses Atlas Specielleres mittheile, kann ich nicht umhin vorerst noch den höchst merkwürdigen Bericht mitzutheilen, welchen etwas vor Vollendung des Atlas, nämlich am 6 Nivöse 10 (1801 XII 17) der schon früher erwähnte französische Topograph Bonne (9) über denselben aus München an das Dépôt de la guerre, welches damals bereits die neue Aufnahme der Schweiz planirte, erstattete (10); er lautet wie folgt:

„La carte de la Suisse par Weiss a été commentée en 1786, ses travaux n'avaient alors pour but que la confection d'un relief qui existe maintenant entre les mains de M. Meyer à Arau (11). Ce relief comprend toute la chaîne des hautes montagnes avec ses embranchemens depuis l'embouchure du Rhin dans le lac de Constance jusqu'a celle du Rhône dans le lac de Genève.

Weiss a été obligé d'abandonner tous les plans et cartes existants avant les siens. Son relief termine, il continua son travail sur les autres parties de la Suisse et il en est résulté une carte générale de cette intéressante contrée, à l'échelle d'à peu près 8/10 de ligne pour 100 toises (12). Dix feuilles de cet ouvrage ont déjà parues, il doit en avoir seize.

Ses bases mathématiques reposent sur des triangles observés avec un bon sextant d'Hadley de 10 pouces de rayon (13), lies à deux bases mesurées sur la plaine de Thun, l'une par Weiss et l'autre par le savant Tralles, et enfin à une troisième mesurée aux environs d'Arau ; ces trois bases (14) n'ont environ que 3000t à cause de la difficulté de trouver en Suisse des plaines suffisamment étendues.

Weiss croit cependant qu'il serait possible de déterminer une base de 10 à 11000 m. sur les marais d'Arberg (15). Il parait au reste qu'il n'a pas eu communication des travaux trigonométriques du professeur Tralles, qui sont circonscrits dans le Canton de Berne (16). —

Weiss reconnait lui-même que la Carte est susceptible d'amélioration, que l’echelle en est trop petite et qu'il serait nécessaire d'observer de grands triangles avec un Instrument plus parfait que le sextant, et de les lier à une ou deux bases plus longues que celles qui lui ont servies (17). — Quant à la topographie il lui faudra essentiellement revoir la côte méridionale du lac de Constance, les environs de St Gall, une partie du Toggenburg, les frontières du Dépt du Mont-Terrible et du Dépt du Montblanc, les baillages italiens, la Valteline, etc., c'est-à-dire à peu près tout ce qui n'est pas compris dans son relief (18). —

Tels sont les renseignements que le Cn Weiss m'a donne lui-même. Ils forment la critique de sa carte, qui est certainement un chef d'oeuvre de topographie sur la Suisse, si l'on considère les difficultés à vaincre dans ce pays pour un certain travail." —

 

Dieser Erzählung, welche ein merkwürdiges Compositum von Dichtung und Wahrheit ist, aber zwischen den Zeilen denn doch manches wichtige Zugeständniss enthält, lasse ich nun einen Auszug aus der ausführlichen und gründlichen Besprechung folgen, welche 1802 XII 26 aus Zürich in Zach's Monatliche Correspondenz eingesandt wurde (19).

Nachdem dieselbe den uns schon bekannten historischen Verlauf des Unternehmens mitgetheilt, sagt sie zunächst über die Generalkarte:

„Ohne allen Zweifel ist sie die beste unter allen bisher bekannten Karten der Schweiz. Ob sie aber das leiste, was man von einer mehrjährigen anhaltenden Arbeit erwarten konnte, ob sie den beinahe fürstlichen Aufwand vergüte, den Joh. Rudolf Meyer mit unermüdeter Anstrengung ihr widmete, und ob sie eine richtige und vollständige Anwendung aller der Mittel verrathe, welche der Unternehmer seinen Arbeitern in die Hände legte, das ist eine andere Frage.

Man erinnert sich, dass das Meyer'sche Werk seiner Zeit durch den Ingenieur Weiss in einem Tone angekündigt wurde, der zu den grössten Erwartungen berechtigte, und dass er insonderheit seine Arbeit als ein Werk anpries, bei welchem alle vorher bekannten Karten ganz unbenutzt geblieben wären (20), und die sich folglich ganz auf eigene Beobachtungen und Operationen gründe.

Es war also zu erwarten, dass er wenigstens alle seine Vorgänger übertroffen habe, wo nicht demjenigen Grad von Vollkommenheit sich nähern sollte, den andere Geographen und Mathematiker wirklich schon bei Vermessung und Darstellung anderer Länder vor seinen Augen erreicht hatten. Allein bei genauer Durchsicht s. Blätter entdeckt man neben einer Menge grosser, unverkennbarer Verbesserungen, neben vielen Beweisen wirklicher Verdienste um die schweizerische Geographie, doch noch eben so viele Nachlässigkeiten und Irrthümer (21).

Man findet besonders im Detail so viele dieser Nachlässigkeiten, dass man wünschen muss, der Künstler hätte hier und dort doch lieber frühere Arbeiten benutzt und abcopirt, als die-selben mit einer etwas auffallenden Anmassung bei Seite gesetzt (22), und wenn die gerechte Kritik in der Beurtheilung eines Werkes von dem Standpunkte ausgehen darf, den der Verfasser selbst seiner Arbeit anweisen wollte, und wenn sie den Verfasser nach dem Maassstabe messen soll, den er selbst für seine Verdienste bestimmt, so muss ein solcher sich alles das zum Fehler anrechnen lassen, was er versprochen und nicht geleistet hat."

Ueber die einzelnen Blätter des Atlasses eintretend, sagt unser Kritiker:

„Die flacheren Gegenden machen unstreitig den schlechtesten Theil der vorliegenden Blätter aus (23). Sie hätten um so leichter können mit mehr Treue und Bestimmtheit aufgetragen werden, weil lange vor dem Erscheinen der Meyer'schen Karte Zeichnungen dieser Gegenden existirten, welche jetzt noch, ungeachtet des Zeitalters, in dem sie verfertigt worden, die gegenwärtige Karte an Genauigkeit unendlich übertreffen (24).

Dagegen aber übertreffen die Gebirgsgegenden nicht bloss alle bisherige bekannte Karten, sondern man darf keck behaupten, dass das Hochgebirge hier zum ersten Mal mit einiger Aehnlichkeit dargestellt ist (25). — Dem ganzen von Meyenfeld in Bünden bis Villeneuve am Genfersee in einer doppelten Kette fortlaufenden Hochgebirge, liegt das stereographische Werk zu Grunde, welches Meyer als Nachahmung des bekannten Pfyfferschen Kunstwerkes hat bearbeiten und in seinem Wohnort Aarau aufstellen lassen.

In diesem finden sich wirklich eine Menge wesentlicher, man kann sagen, neuer Entdeckungen über die Gestalt der Berge, die Ausdehnung und Biegung der Thäler, die in allen Richtungen sich durch die grossen Gebirgsmassen hindurchdrängen, und über die Beschaffenheit mehrerer Gletscher und Eisthäler, deren Dasein vorher nicht einmal genau bekannt war.

Wer auch nur obenhin diese Gegenden mit der Gestalt vergleicht, die ihnen in altern Karten gegeben ist, wird die ungeheuern Abweichungen von der Natur erkennen, die jenen ältern Karten zu Schulden kommen, in der hier beurtheilten aber glücklich und geschickt verbessert sind."

Nach vielen Detail-Bemerkungen, deren Wiedergabe hier nicht am Platze wäre, schliesst endlich unser Recensent mit den Worten:

„Bei dem höchst ungleichen Wrerth der verschiedenen Sectionen wird dieses Werk bloss für diejenigen recht nützlich und brauchbar werden, die mit Sorgfalt und Fleiss diejenigen Theile, auf welche man sich verlassen kann, von den oberflächlichen unterscheiden. Aus den erstern, wozu man die Blätter 6, 7, 10 und 11 rechnen darf (26), kann ein Besitzer gros-sen Nutzen ziehen; anstatt aller übrigen kann man sich leicht brauchbarere und schönere Hülfsmittel verschaffen." —

So berechtigt aber solche Kritik vom wissenschaftlichen Standpunkte aus war, und so wenig sie dem anmassenden Weiss erspart werden durfte, so hatte, wie zum Schlusse noch betont werden mag, Vater Meyer dennoch die Satisfaction durch s. Opferfreudigkeit ein Werk ins Leben gerufen zu haben, das trotz alledem nicht nur mit s. Erscheinen sofort alle frühern Karten verdrängte, sondern Jahrzehnte lang die beste topographische Darstellung der Schweiz und die Grundlage blieb, auf welcher weiter gebaut wurde, — einige bittere Pillen musste er als Strafe dafür in Kauf nehmen, dass er sich durch Weiss zu sehr bethören liess.