Kapitel V. Spätere Detailarbeiten

 

45. Alexander von Wattenwyl.

Was Bodmer prophezeit hatte (1), erfüllte sich gerade ein halbes Jahrhundert später, indem General von Lentulus (2) in seinem 1767 dem Kriegsrath von Bern adressirten Mémoire über das Bernerische Kriegswesen offen sagte:

„Eine von den nöthigsten Sachen ist die Kentnis des Landes, und auch hier sind wir weit zurück, denn ich habe mit erstaunen erfahren dass offt auch die nahe um die Statt herumgelegene Dörfer den meisten unbekant waren, die ich darum befragte. Man muss also eine sehr genaue und ungemein detaillirte Charte des Lands aufnehmen lassen, welche für den Kriegsrath allein gewidmet seyn solle. Auf derselben müssen alle grosse und kleine Straassen, Défilé’s, Fusswege, Anhöhen, Tiefen, Flüsse, Bäche, Brücken, Stege, Wälder, Gebüsche, Möser, etc., ja sogar die Natur des Terrains gemeldet werden. Der hohe Kriegsrath und alle Herren Stabs Officiers und andere müssen sich nothwendig appliciren alle defiles von der Entrée ins Land an kennen zu lernen, sie müssen die Oerter aufzusuchen wissen, wo man feste Lager schlagen oder mit sichtbarem vortheil Schlachten liefern kann, wo Depots von Mund- und Kriegs-Provisionen ohne Gefahr können angelegt werden, wo man am bequemsten Hospitäler für die Armeen, Bäckereyen u. dgl. halten kan, mit einem Wort, alles was zu einem glücklichen Ausgang der Campagne dienen kan, das soll und muss der Officier wissen. Dise genaue Kentnis des Lands ist ohnehin die Seele eines wohleingerichteten Staates und kan zu tausend anderen Sachen nützlich seyn."

Auf günstigen Bericht des Feldzeugmeister Otth (3) hin, empfahl sodann der Kriegsrath die alsbaldige Anhandnahme dieser Arbeit, — berechnete dass die Aufnahme sieben Jahre beanspruchen und etwa 10000 Kronen kosten würde (4) , und glaubte dass Herr Hauptmann Alexander von Wattenwyl von Peterlingen (5) der geeignete Mann wäre um dieselbe mit Erfolg durchzuführen. —
Zu Bern 1735 dem Landmajor und spätem Gubernator von Peterlingen, Samuel Ludwig von Wattenwyl geboren, war Alexander von Wattenwyl schon 1754 als Volontaire in das holländische Artillerie-Corps getreten, hatte dann (6) „als Hauptmann ayant-troupe in k. preussischen Diensten dem ganzen siebenjährigen Kriege beigewohnt", und, was der Bericht des Kriegsrathes besonders betonte, aber eigentlich für die vorliegende Aufgabe nicht sehr viel sagen wollte, „unter dem grössten Meister in der verteidigenden Kriegskunst, Ihro kön. Hoheit dem Prinz Heinrich von Preussen als Ingenieur während des letzten Schlesischen Kriegs gestanden, wobei er zu einer nicht geringen Erfahrenheit gelangt." Item, sobald „Räth und Burger" den Kriegsrath ermächtigt hatten in Sachen vorzugehen, wurde mit Wattenwyl noch einiges Nähere verabredet (7), und sodann mit ihm ein förmlicher Vertrag über die Aufnahme abgeschlossen (8), worauf er 1767 XII 7 folgenden Eid leistete:

„Ich schwere zu Gott dem Allmächtigen, MHGH. den Kriegsräthen zu Handen der Stadt Bern, Treu und Wahrheit zu leisten, ihren Nutzen zu fürdern und Schaden zu wenden, nach meinem Wissen und Vermögen. In Sonderheit aber in Verfertigung der mir anvertrauten militarischen Landcharte allen Fleiss und Treu zu gebrauchen, keine copien weder für mich noch für andere davon zu machen oder machen zu lassen, es sey denn aus Befehl MHGH. der Kriegsräthe, auch alle Aufsätze und Croquis nach verfertigter Arbeit getreulich einzuhändigen: Allen mir sowohl hierüber als auch in dergleichen Dingen hinkünftig mündlich und schriftlich ertheilenden Befehlen und Instructionen willigen Gehorsam zu leisten, in allen geheimen Aufträgen, wie auch in denen Dingen die dem Vatterland Nachtheil bringen oder auch Fremden oder Feinden Nutzen bringen könten, die unverbrüchlichste Verschwiegenheit zu beobachten. Ueberhaupt aber alles zu hälen was zu hälen ist, oder mir zu hälen geboten wird. Ohne alle Gefährd." —

Die Arbeiten begannen nun alsbald, aber mit ihnen auch die Schwierigkeiten, und schon im Sommer 1768, wo Wattenwyl in der Gegend von Lenzburg vermass, hatte er vielen Verdruss, indem ihm s. Stangen versetzt oder entwendet wurden; bei Reclamationen erhielt er zur Antwort, dass man keinen Befehl habe auf solches acht zu geben, „ja sogar erfrechet sich der Weibel von Hunzenschwyl, ob dessen Baumgarthen bey 30 biss 40 Schritt von seinem Haus eine Stangen entwendet, in Antwort zu ertheilen, der Wind werde solche weg genommen haben." Vorfälle ähnlicher Art wiederholten sich von Zeit zu Zeit, und als sodann 1773 VI 12 die Herren Du Gard d'Echichens Angestellte von ihm, die, ohne sie vorher dafür zu begrüssen, durch ein frisch angesäetes Stück Wald eine Distanz „avec une perche de 20 pieds" messen wollten, wegjagten oder sogar, nach Aussage der Betreffenden, mit Schlägen tractirten, ging s. Geduld aus,— ja als die Oberbehörden in Bern nach Anhörung der pro et contra diesen Handel nicht ganz in s. Sinne erledigten, gab er s. Demission ein, und liess sich absolut nicht bewegen dieselbe zurückzuziehen. Anderseits konnte aber der Kriegsrath diese Demission auch nicht ohne weiteres annehmen, und in einem von G. E. Haller, der damals Kriegsrathsschreiber war, gezeichneten Befinden von 1773 XI 25 liest man:

„In welcher Stellung befindet sich nun der Herr von Wattenwyl. Den 9. Jan. 1768 schliesst er mit E. H. G. einen Tractat und verbindet sich die Landcharte in 7 Jahren zu liefern. Er schwört einen Eid der Stadt Bern Treu und Wahrheit zu leisten, ihren Nutzen zu fürdern und Schaden zu wenden, und in Verfertigung der Charte allen Fleiss und Treue zu gebrauchen. Alles dieses soll mit einem Mahl aufhören, der hohe Stand soll eine für nöthig erachtete Arbeit, die schon weit avancirt ist, und die niemand fortsetzen kan und nicht geringe Summen Geld kostet, verlieren aus Gründen, die man nicht zureichend glaubt. Es ist weit natürlicher, billiger und gerechter, dass wer Traktate mit der hohen Oberkeit schliesset, auch schuldig und verbunden sey sie zu halten, denn eine Parthey allein ist nicht befugt den Traktat aufzuheben. Die Ehre also der Regierung und ihr einleuchtender Nutzen erfordern es dass Euer Hohen Gnaden abstrahendo von der begehrten dimission dem H. von Wattenwyl befehlen seine Arbeit fortzusetzen und den eingegangenen Tractat zu erfüllen. Dieses ist was MHGH. die Kriegsräthe Euer Hohen Gnaden ohnmasgeblichst anrathen. —
Noch müssen MHGH. anzeigen wie weit diese Arbeit gerükt: Ganz ausgefertigte und lavirte Proben hat man niemals von Hrn. von Wattenwyl erhalten können, obschon sie den 11 Dez. 1771 und 9 April 1772 von ihm sind begehrt worden; aber aus der Gegeneinanderhaltung mit andern Plans hat sich erwiesen, dass der verglichene Maassstab gross und deutlich genug sei. Den 12 Jan. 1769 legte Hr. von Wattenwyl die ersten Proben seiner Arbeit vor. Er wiederholte es den 16 März 1771, 22 April 1772 und 10 Febr. 1773, und wirklich sind das Obere und untere Aergau, das Emmenthal, das Simmenthal und das Saanen Land ganz, von den Landgerichten, dem Seeland und dem welschland aber ein grosser Theil fertig, und diess konte auch nicht wohl anders seyn, indem laut dem Tractat soll die Charte im Jahr 1774 fertig werden." —

Der Rath erliess nun 1773 XII 10 an den Kriegsrath den Befehl Wattenwyl vorzuladen „und demselben anzubefehlen samtliche ausgemessene Landschafften und Districte des Cantons mit aller beförderung in das reine zu bringen und ausgearbeitet Euch MHH. zu übergeben"; wann diess werde geschehen sein, könne man dann sehen was weiter vorzukehren sei. Auf geschehene Vorladung entschuldigte sich Wattenwyl, unter Beibringung ärztlicher Zeugnisse, derselben nicht Folge leisten zu können, — und als sich diess wiederholte, wurde schliesslich 1774 V 16 der Ausweg getroffen ihm das Dekret von 1773 XII 20 durch den Weibel in seiner Wohnung vorlesen zu lassen. Wattenwyl erbat sich nun 1774 V 21 drei Jahre Zeit um s. Arbeit zu vervollständigen und auszuarbeiten, und es wurde ihm 1774 VI 3 diese Frist vom Rathe wirklich zugestanden. Als dann aber die drei Jahre nahe verflossen waren, ohne dass das seinen Abschluss hatte, erhielt Wattenwyl den gemessenen Befehl s. Arbeiten tale quale abzuliefern, was nun auch wirklich geschah, indem er eine Reihe von Bleistift-Skizzen übergab, dagegen von Ausarbeitungen „nur ein klein Stücklin auf einer Planchen", die Gegend von Thun darstellend, das aber gerade nur hinreichte um einen Beweis „von seiner capacitsst in der Feldmesskunst" zu leisten (9), dagegen kein Aequivalent für die bis anhin vom Staate an Taggeldern und Taglöhnen verausgabten 9175 Kronen bot. Wattenwyl erklärte dabei, dass es „Ihme unmöglich falle dieses Werk zu vollenden und darin fortzufahren, — seine Gesundheitsumstände seien auch noch so schlecht, dass er sich wenig Besserung zu versprechen habe. Er bietet demnach EHG-. alle diejenige Ersatzung an, so in seinem Vermögen stehet, und hoffet, man werde den Umständen, in denen er sich befunden und der vielen Zeit, Müh und Arbeit, so Er seit A. 1767 damit zugebracht, eingedenkt seyn, da die Umstände, Hindernisse und schlechte Gesundheitsumstände die Vollendung dieses Werks gänzlich verhindern." Es wurde hierauf vom Rathe der Zweihundert 1778 I 9 erkannt, dass Wattenwyl habe, — und als dann dieser erklärte „dass er auch mit seinem völligen Ruin besagte Summe weder aufbringen noch bezahlen könte", dieser Beschluss 1778 XII 28 dahin abgeändert, dass er „3000 Kr. in drei Stössen als A. 1781, 83 und 85 ohne Zins bezahlen und dafür Bürgschaft stellen solle: die übrigen 3512 Kr. aber solle er dem Stand erstatten wann er sich im Stand sehen wird solches zu thun." —

So endete die beidseitig mit grossen Hoffnungen begonnene Arbeit in ziemlich kläglicher, aber wegen zu wenigem Vorbedacht von der einen, und zu grossem Selbstvertrauen von der andern Seite, nicht überraschender Weise: Der Staat erhielt statt einer brauchbaren Karte eine Anzahl kaum verwendbarer Skizzen und Bruchstücke, welche überdiess später noch verloren gingen (10). — Wattenwyl aber, der im Unmuthe auch noch s. Artilleriehauptmanns-Stelle niedergelegt hatte, war körperlich und geistig gebrochen, öconomisch ruinirt, und starb 1813 arm und längst vergessen.