Kapitel V. Spätere Detailarbeiten

 

47. Heinrich Albertin.

Johann Heinrich Albertin wurde 1713 zu Zürich geboren. Sein Vater war der als „ernsthafter und moroser Schulmann" bekannte Präceptor und Cantor Caspar Albertin (1), ein Nachkomme des 1555 um der Religion willen von Luggarus nach Zürich übergesiedelten Franz Albertin oder Elbertin, und des 1640 daselbst eingebürgerten Caspar Albertin,— seine Mutter Elisabetha eine Tochter des Landschreiber Caspar Gwerb (2). Ob etwas von dem Grossvater mütterlicher Seite auf ihn übergegangen war, lässt sich kaum ermitteln; aber sicher ist, dass sich Heinrich Albertin von Jugend auf mit Vorliebe und Erfolg auf die exacten Wissenschaften legte, da man schon unter dem 14. März 1735 im Rathsprotokolle liest (3):
„Ueber den Anzug dass Herr Heinrich Albertin, der Ingenieur, gesinnet sei, zu mehrerer Perfectionnirung seiner besitzenden Wissenschaften diss Jahr bei der deutschen Armee am Rhin-Strom die Campagne zu machen, haben MHGH. einhellig erkennt, dass ihme ein Viaticum von 200 Thalern aus dem Seckelamt verabfolget, auch mit denen nöthigen und verlangenden Recommandationen versehen werden solle." —
Nach s. Rückkehr erhielt Albertin, wenn auch nicht eine förmliche Staatsanstellung, doch wenigstens im Frühjahr 1736 ein sog. „Wartgeld" (4), und beschäftigte sich theils mit geometrischen, theils mit militärischen Arbeiten, sich zugleich einen eigenen Hausstand gründend (5). —

Von Albertin's geometrischen Arbeiten ist namentlich eine von 1740 datirende, in der Sammlung der math. milit. Gesellschaft liegende Zeichnung von Interesse, welche die Aufschrift besitzt: „Observations Carte von verschiedenen Distanzen am Züric-See verfertiget den 9. und 10. Martii A. 1740, da der See noch völlig überfrohren war, so das man den 10. dito ohne gefahr eine Standlinie von der Gedult zu Rüschlikon bis zu der Sonnen gen Küssnacht über den See hinüber messen konte, welche 615 Ruthen lang ist. — H. Albertin Ing. fec.", — eine Arbeit, die für gegenwärtige Geschichte um so wichtiger ist, als in ihr eine erste schweizerische Messung solcher Art vorliegt, von welcher man wenigstens einen gewissen Detail kennt.

Wie Albertin s. verschiedenen Standlinien bei Zürich, wo er von einem „Widstock auf dem Damm“ in der Nähe vom Einfluss des Schanzengrabens nach dem „Venedigli" 195 Ruthen, nach „Hr. Statt Ct Spöndli's Guth" in der Enge 490 Ruthen, nach „Hr. Zunftmeister Landolten Guth" im Seefeld 448 Ruthen, und von da bis zu der „Schüzen Maur" am Hörn 130 Ruthen fand, — und bei Rüschlikon, wo er, ausser der in der Aufschrift angegebenen Standlinie quer über den See, noch eine Linie am Lande von 225 Ruthen maass, — bestimmte, erfährt man allerdings auch nicht; dagegen ersieht man aus seiner 185 cm. langen und 37 cm. hohen „Carte", dass er, von den Endpunkten s. Standlinien bei Zürich ausgehend, sei es mit einem Winkelinstrumente, sei es mit einer Art Messtisch, neue Punkte auf der Katze, dem Bürgli, beim Schlössli, der „Heuel-Scheur", etc. festlegte — von ihnen aus die Kirchthürme der Stadt und der Dörfer Wipkingen, Höngg, Altstätten, Wollishofen, Kilchberg, Küssnacht und Zollikon, sowie die Weid, die Wachthäuschen auf dem Geissberg und Uetliberg etc. einschnitt, — auch von den Standlinien bei Rüschlikon aus in ähnlicher Weise vorging, namentlich seeaufwärts Erlibach, Herrliberg und Thalweil anvisirte, — und bei allen s. Messungen fortwährend darauf bedacht war dieselben durch überschüssige Bestimmungen zu controliren (6).

Aus einer Reihe von Abmessungen, welche ich mit der eidg. Generalkarte verglich, ergab sich mir, dass s. Arbeit für die offenbar geringen Mittel, über welche er verfügte, recht tüchtig war (7), und dass man nur bedauern kann, dass Albertin nicht dazu kam mit besserer instrumentaler Ausrüstung und den nöthigen Subsidien eine grössere Aufgabe ähnlicher Art an die Hand zu nehmen, — überhaupt eine bessere Stellung zu erhalten. Wohl liest man im Rathsprotokolle von 1746 XI 14: „Es haben MGH. dem Herrn Ingenieur Heinrich Albertin über seine Supplication um eine Verbesserung seines geniessenden oberkeitl. Beneficii wegen seines guten Zeugnusses und seinen bey der Ingenieurkunst und in dem Zeughaus zeigenden willigen Diensten zu seinem allbereit beziehenden Ingenieur-Wartgeld annoch ein gleiches und vacantes, und zwaren von nun an zu empfangen, gnädig geordnet";
aber gründlich geholfen war ihm, bei seiner starken Familie, mit diesen Wartgeldern und einzelnen ihm übertragenen Arbeiten (8) doch nicht, — bei Erledigung der Inspector-Stelle wurde ihm, so zufrieden man auch mit ihm als langjähriger Adjunkt gewesen war, doch schliesslich ein Anderer vorgezogen, — andere für ihn passende Stellen waren nicht vorhanden oder nicht frei, — kurz er war schliesslich gezwungen 1760 VIII 20 eine neue Supplication einzulegen, welche wie folgt lautete:
„Gnädiger Herr Burgermeister! Hochgeachte, Wol Edelgebohrne, Gestrenge, Fromme, Fürnehmme, Fürsichtige und Hochweise, Insonders Gnädige Herren! Durch gegenwärtige, demüthige Bitt Schrifft, welche vor Ewr Gnd. einzulegen die Freyheit nimme; habe die Ehre Hochdenenselben mit gezimmenden Respect vorzustellen; wie dass auf Hohes anrathen und vorwüssen Mr. Gnd. HH. und Oberen die Ingenieur-Kunst erlehrnet, und wie Hochderoselben meiner Wenigkeit halber gefassten guten Hofnung entsprechen möchte, alles Ernsts getrachtet; es hat unter Göttlichem beystand und Seegen auch so weit gelungen, dass da ich vor 24 Jahren zu publiquen Geschafften gebraucht zu werden Anlaas gehabt, aus besonderer Ewr Gnd. Hohen Benevolenz — so anjetzo nachmahlen demüthig verdanke — 10 Jahr lang das einfach und 14 Jahr lang das doppelt gewohnliche wart-gelt mir gnädigest zuerkennet worden, welches meine Haushaltungs-Umstände merklich facilitierte, sonderheitlich deswegen, dass ich während dieser Zeit eint und andere publique Arbeit gehabt, worunter der Neue Weg (9) begriffen; da aber diese Arbeit schon vor drey Jahren zu end gegangen, und kein avancement zu einem fixen Posten von dieser Natur vorsehen kan, noch hoffen darf, so finde ich mich nothgedrungen Ewr Gnd. um fixe und Mehrere Hochoberkeitl. Geschaffte angelegentlich zu bitten, sowohl zu beförderung dero Hohen Standes-Interesse, als zu meiner und meiner geringen Familie besserer Subsistenz. Alles in der gäntzlich völligen Versicherung, und unter feyrlich getreuen Zusag, durch darspannung aller kräfften meine dissfähligen Pflichten zu Ewr Gnd. Satisfaction je länger je Eyfriger zu erstatten. Die sehnlich .erwartende Gnädige Gewährung meiner demüthigen Bitt wird mich und L. Meinige antreiben zu Hertzlich und eingründigem Gebätt zu Gott, dass Er dero Hohe Ehren Persohnen und dero Ehren Familien in stehtsblühendem Wohlstand erhalten, und dero Regierung weiter beglüken wolle."

Man liest nun allerdings im Rathsprotokolle von 1760 VIII 27: „Ueber die Supplication Hr. Ingenieur Albertins haben MGH. ihr gnädig Wohlgefallen über seine bisherige geschickte Verrichtung bezeuget, auch zu wirklicher Bescheinigung derselbigen ihme auch zu den schon erhaltenen Wartgeldern ein jährliches Salarium von 2 Mütt Kernen, 2 Eimern Wein und 40 Pfund Geld zu beziehen verordnet. Anbei wurde bedeutet, dass er bei vorkommenden Geschäften, die in seine Wüssenschaft und Talente einlaufen, erforderlich betrachtet werden solle" ; aber, weder diese Zulage, noch die ihm zugewiesenen Arbeiten (10), kleckten um s. öconomischen Verhältnisse in Stand zu bringen. Noch finden wir, dass Albertin 1761 für das sog. Pörtler-Collegium, bei dessen Schlussexercitien von 1757 und 1760 er als Hauptmann die Artillerie commandirt hatte, und das nun abhalten wollte, ein Lager abgesteckt habe.

Ferner geht (11) aus der gedruckten hervor, dass damals von Bündten für die Grenzvermarchung „Johann Heinrich Albertini, Ingenieur-Hauptmann des löbl. Cantons Zürich" abgeordnet wurde, während Mailand den kais. Ingenieur Bozzolo sandte, — und in der That fand ich in der Sammlung der math. milit. Gesellschaft einen 122 auf 57 cm. haltenden Plan der Gegend des „Lagetto" unterhalb Cleven oder des sog. „Lago di Mezzola", auf welchem man „Geometrischer Plan von Landmarchung des Veltlins gegen den Mayländischen Staat, Aufgenommen im Junio 1763 von H. Albertin, Ingenieur aus Zürich" liest, und der ganz ordentlich ausgeführt ist, sich auch durch die eingezeichneten Visirlinien als eine wirkliche geometrische Aufnahme erweist (12).

Aber trotzdem war der ökonomische Verfall nicht aufzuhalten, — ja im Jahre 1765 kam es zum förmlichen Falliment, in Folge dessen unser Albertin nach damaligen Gesetzen Zürich fortan meiden musste, oder „Vagabundus" wurde (13).

Er ging nun nach Deutschland, stand einige Zeit als Ingenieur in fürstlich Fürstenbergischen Diensten, bis es ihn schliesslich 1787 wieder in die Heimat, oder wenigstens in die Nähe s. Familie zurücktrieb. Er fand in Thalweil eine letzte Zufluchtsstätte und starb daselbst am 23. Dez. 1790 (14), — ein Opfer der damaligen ungünstigen Verhältnisse.