Kapitel X. Die Messungen von Tralles und Hassler.

 

92. Die öconomische Gesellschaft.

Das von Zürich durch Gründung s. naturforschenden Gesellschaft gegebene Beispiel blieb auch in der Westschweiz nicht ohne Nachahmung:
— In Bern entstand 1759 eine öconomische Gesellschaft, über die ich sofort näher eintreten werde,
— in Genf 1776 durch einen sich bei Saussure versammelnden Freundeskreis, zu dem namentlich auch der Astronom Mallet gehörte, die jetzt noch bestehende „Société pour l'encouragement des arts et de l'agriculture", welche schon 1778 den ersten Band ihrer „Mémoires" herausgab,
— in Lausanne 1783 durch Dr. Francois Verdeil, Professor Struve, Graf Razoumovski, etc. die „Société des sciences physiques", welche von 1784 bis 1790 drei Bände „Mémoires" herausgab, dann allerdings den politischen Stürmen erlag, im Anfange dieses Jahrhunderts aber durch Louis Reynier, Dan. Alex, Chavannes, etc. neuerdings ins Leben gerufen wurde,
— wieder in Bern 1786 durch Anregung von Wyttenbach eine „Naturforschende Gesellschaft“, welche, nachdem sie auch einige Male dem Einschlafen nahe war, in der neuern Zeit, namentlich seit sie 1843 unter meiner Redaction „Mittheilungen" herauszugeben begann, recht schön blüht (1),
— endlich nochmals in Genf 1790 durch Gosse, Bonnet, Saussure, etc. eine „Société de physique et d'histoire naturelle", welche seit 1821 eine werthvolle Serie von „Mémoires" veröffentlicht hat (2)

Es würde hier zu weit führen die Wirksamkeit jeder dieser Gesellschaften zu schildern, und ich muss mich darauf beschränken Bern's öconomische Gesellschaft, und auch bei ihr nur einen kleinen Theil ihrer Thätigkeit näher ins Auge zu fassen (3):

„Im Dezember 1758 erliess Tschiffeli (4) im Wochenblatt der Stadt Bern eine Aufforderung an alle Patrioten und Freunde der Landwirthschaft, dass sie durch Subscription eine Summe Geldes zusammenbringen möchten, um daraus die beste Abhandlung über eine die Verbesserung des Landbaues bezweckende Aufgabe mit einer Preismünze zu belohnen. Dieser Vorschlag wurde so günstig aufgenommen, dass in kurzer Zeit 60 Personen unterzeichneten, aus welchen Tschiffeli eine Sechser-Commission auswählte, nämlich die Herren Altlandvogt Samuel Engel (5), Salzdirector Herbort, Niklaus von Diessbach, Dr. jur. Friedrich Jakob König, Franz Jakob von Tavel und Niclaus Emanuel Tscharner (6).

Zur Beurtheilung der sogleich ausgeschriebenen Preisfrage wurden sechs weitere Herren beigezogen, und diese zwölf hielten am 3. Februar 1759 unter dem Vorsitze Tschiffeli's die erste Sitzung der Oeconomischen Gesellschaft. —
In kurzer Zeit schlossen sich viele hervorragende Berner (7) an den genannten Kreis an, und dienten in aufopfernder Beharrlichkeit durch gelehrte Arbeiten und praktische Bethätigung im Landbau dem gemeinen Wohle.
Jeder, der in die Gesellschaft aufgenommen werden wollte (mit Ausnahme der Standesglieder) musste bei seiner ersten Erscheinung eine Probe seiner diesörtigen Wissenschaft vorlegen, damit man ihn als ein nützliches Glied erkennen könne, und einen Beitrag von 18 Fr. an den Cassier entrichten. —

Der Charakter der Gesellschaft war anfangs ein wesentlich anderer, der Kreis der Thätigkeit ein ungleich weiterer als später; sie umfasste die Landwirthschaft, Naturwissenschaft (8), Industrie, Handel und Gewerbe, die Kunst, — also den gemeinen Nutzen im weitesten Sinne.

Mit Recht tragen daher die Preismedaillen die Umschrift: „Societas agriculturse bernensis et bonarum artium“; aber mit ebenso grossem Rechte nannte sich die Gesellschaft die Oeconomische, indem sie ihr Hauptaugenmerk auf die Nahrung und Arbeit des Volkes richtete.
Dass sie ihre Mitglieder hauptsächlich in dem Gelehrtenstande, dem Patriziate und den Bürgern der Stadt fand, ist in den damaligen Zeiten wohl begründet, und gab ihr den Charakter einer gelehrten und geschlossenen Gesellschaft. —

Die nöthigen Fonds zu den Preisen lieferten die Beiträge der Mitglieder, Geschenke des täglichen Rathes, fremder und eingeborner Gönner der Gesellschaft. —

Die Preisschriften und die seit 1760 herausgegebenen Abhandlungen machten bald ein grosses Aufsehen und wurden namentlich Veranlassung zu der ausgedehnten Correspondenz der Gesellschaft, sowie zur Bildung von Filialgesellschaften in Lausanne, Vivis, Aarau, Biel, etc." —

Die schönsten Blüthen trieb die Gesellschaft in den 60er und 70er Jahren, wo sogar die Regierung auf den Einfluss der neuen Institution etwas eifersüchtig wurde, und, .zumal auch noch die „Helvetische Gesellschaft" entstand, offenbar fürchtete, es möchte sich hinter dem gemeinnützigen und wissenschaftlichen Streben auch noch etwas politische Thätigkeit verstecken (9). Später fing die Gesellschaft an nach und nach etwas zu erlahmen, obschon wir sofort noch ein schönes Zeichen ihrer damaligen Thätigkeit zu besprechen haben werden; immerhin überdauerte sie den Zusammensturz des alten Berns, und wenn sie zuweilen, wie z.B. von 1814 bis 1822 und dann wieder von 1831 bis 1838, kein Lebenszeichen mehr von sich gab, so erholte sie sich immer wieder zu neuer, wenn auch etwas eingeschränkterer Thätigkeit, — ja seit Mitte der 40er Jahre, wo sie sich in einen mehr volkstümlichen und speciell landwirtschaftlichen Verein umgestaltete, hat sie bis auf die neueste Zeit recht viel Gutes geschaffen, wenn sie auch nicht mehr den Glanz der Jugendjahre besitzt. —

Vor diese Gesellschaft nun, der er bald nach s. Ankunft in Bern beigetreten war, trat im Frühjahr 1792 unser Tralles, der die Ueberzeugung gewonnen hatte, dass Privatkräfte für die richtige Durchführung einer grössern Vermessung nicht hinreichen, und hielt ihr einen Vortrag über die Mittel, durch welche man zu einer genauen geometrischen Vermessung des Kantons Bern kommen könnte, sowie über den manigfaltigen Nutzen einer solchen Arbeit. Derselbe zündete; es wurde sofort eine aus den Herren Landvogt Kirchberger (10), Commissarius Manuel (11) und Professor Ith (12) bestehende Commission zur Prüfung der Sache niedergesetzt, und schon in der nächsten Sitzung gab dieselbe ein günstiges Gutachten ab, in welchem man unter Anderm liest:
„Dass man von der Schweiz überhaupt und vom Canton Bern ins Besondere, ungeachtet der Menge von Zeichnungen, welche den Namen von Landkarten tragen, noch gar keine erträgliche Karte hat, das ist eine Wahrheit, die wohl keines Beweises mehr bedarf, und die auch schon lange Fremden und Einheimischen aufgefallen ist. Herr Professor Tralles hat es besonders durch seine in den letzten Jahren mit der ihm eigenen Genauigkeit angestellten Messungen und Beobachtungen erwiesen, dass bis dahin nicht einmal die eigentliche Breite von Bern oder irgend einem andern Orte des Kantons genau bestimmt war. Die relative Lage der verschiedenen Ortschaften ist ebenfalls ausserordentlich fehlerhaft zumal sie auf allen bisherigen Karten nur nach ausgeführten Zeichnungen und nicht nach mathematischen Messungen angegeben ist."

Im weitern Verlaufe wird sodann auseinander gesetzt, welch grossen Nutzen die Kenntniss der Grösse eines Landes, der Art seiner Bebauung, des Laufes der Flüsse und der vorhandenen Communicationsmittel, etc. auf die Hebung des Nationalreichthums durch Culturverbesserung habe,
— wie diess die öconomische Gesellschaft schon seit ihrer Stiftung eingesehen, und darum so häufig Preise auf topographische Beschreibungen einzelner Landestheile ausgesetzt habe,
— wie aber diese des Zusammenhanges und der nöthigen Grundlage entbehren, so lange eine gute Karte fehle,
— wie nothwendig eine gute Karte für eine richtige Administration des Landes, für die Kenntniss der Staatsdomänen, für Schlichtung von Marchstreitigkeiten, für Strassen- und Wasserbauten, etc. sei,
— wie bei Gelegenheit einer geometrischen Vermessung zugleich so .viele interessante Beobachtungen über die physische Beschaffenheit des Landes, über die Grosse und Figur der Erde, über die Refraction, über die Anziehung der Berge, etc. gemacht werden können die „den Dank der gelehrten Welt und eine bleibende Ehre zu Wege bringen würden".

Das Wesentlichste vor Allem aber sei:
„dass die Gesellschaft in der Person des Herrn Professor Tralles einen Mann findet, der zur Ausübung dieses Vorhabens nicht nur mit den tiefsten mathematischen und physischen Kenntnissen ausgerüstet ist, sondern in der praktischen Geometrie und dem Gebrauche der dazu erforderlichen Instrumenten eine seltene Fertigkeit besitzt".

Eine andere Hauptbedingung sei die Herbeischaffung von circa 400 Louisd'or theils für Anschaffung von fehlenden Instrumenten, theils zur Deckung der Auslagen; es sei aber von der Regierung zu erwarten, dass sie allerwenigstens für die Instrumente sorgen und Tralles eine jährliche Gratification geben werde, — und circa 40 Louisd'or könnte die Gesellschaft nöthigenfalls jährlich selbst beitragen.

Vor Allem aus müsste aber die Gesellschaft sich förmlich an die Spitze des Unternehmens stellen, um dem Publikum die nöthige Garantie für das Gelingen zu geben; dann liesse sich eine zahlreiche Subscription auf die Karte erwarten, zumal es, wenn auch nur der Kanton Bern im Detail vermessen würde, ein Leichtes wäre, eine Reihe wichtiger Punkte in den übrigen Theilen der Schweiz zu bestimmen, und mit ihrer Hülfe eine brauchbare Karte der ganzen Schweiz zu liefern. –

Die öconomische Gesellschaft genehmigte den Commissionalbericht, und wandte sich auch an die Regierung, welche vorläufig 150 Louisd'or zum Ankaufe von Instrumenten bewilligte, so dass man wagen durfte bei Ramsden einen dreifüssigen Azimuthalkreis zu bestellen, und hoffen konnte spätestens 1794 die Messung ernstlich beginnen zu können. Wir werden unter der folgenden Nummer sehen, wie sich die Sache sodann in Wirklichkeit gestaltete.