Kapitel XXII. Das schweiz. Polytechnikum und s. Sternwarte.

 

171. Die Sternwarte des Polytechnikums.

Als im Sommer 1854 die erwähnte Organisationscommission in Bern tagte, gelang es mir dieselbe zu überzeugen dass an einer Anstalt, welche unter Anderm zur allseitigen Ausbildung von Ingenieuren und Lehrern der mathematischen Wissenschaften bestimmt sei, nothwendig auch astronomische Curse und Uebungen statt haben müssen, wovon bis dahin sonderbarer Weise nicht die Rede gewesen war.

In Folge davon wurde ich zu einer Eingabe über die nöthigsten astronomischen Instrumente aufgefordert, und auf Grundlage derselben büdgetirte die Commission 10’500 Fr. zu deren Anschaffung, in der Meinung, dass „dieselben einstweilen in dem schon in Zürich vorhandenen Local aufgestellt und zu Beobachtungen benutzt werden können".

Am 23. April 1855 in Nachfolge von Raabe an das obere Gymnasium in Zürich berufen, übernahm ich natürlich gerne nebenbei am Polytechnikum einen mit Uebungen verbundenen Curs der Astronomie zu lesen, und erhielt nun die obenerwähnte Summe wirklich zur Verfügung, um eine aus Horner's Nachlass erhältliche Repsold'sche Pendeluhr anzukaufen, und in München bei Ertel einen astronomischen Theodoliten und einen dem für Bern gelieferten ähnlichen Meridiankreis, bei Merz einen Sechsfüsser zu bestellen, welche neben dem alten Inventar der Feer'schen Sternwarte, ein paar Sextanten, etc. wenigstens für den Anfang zu genügen schienen, und, bei der anfänglich kleinen Schülerzahl, für deren Uebungen der Raum vor der Sternwarte zur Noth hinreichte, auch wirklich genügt,hätten, wäre das Local nur etwas grösser und sicherer gewesen, um sie vollständig aufstellen zu können.

Als dann aber die Schule sich rasch ausdehnte und zudem die Astronomie für die Ingenieurschüler als obligatorisches Fach erklärt wurde, ging es absolut nicht mehr, und wiederholte Eingaben von meiner Seite veranlassten schon 1857 III 5 den Schweiz. Schulrath zu beschliessen
„es sei Herr Prof. Wolf eingeladen dem Schulrathe ein Gutachten sammt Kostenberechnung betreffend Erstellung und Einrichtung einer Sternwarte für den Fall, dass bloss das dringendste Bedürfniss für den Unterricht an der Anstalt befriedigt werden wollte, und hinwieder für den Fall, dass dem Fache der Astronomie eine weitergehende Beachtung eingeräumt würde, beförderlich vorzulegen"

Da ich natürlich darauf dringen musste, es sei einem Neubau eine auf längere Zeit genügende und wenigstens kleinere wissenschaftliche Arbeiten ermöglichende Ausdehnung zu geben, ja damit (was damals Manchem noch extravagant erscheinen wollte) eine Wohnung zu verbinden, so konnten sich die Behörden zu jener Zeit noch nicht zur sofortigen Ausführung entschliessen, zumal die Ausmittlung eines geeigneten Platzes nicht leicht war. —

Eine neue und günstige Wendung trat ein, als es mir im Herbst 1859 mit Hülfe meines, leider kürzlich verstorbenen Jugendfreundes Emil Escher gelang, die Kunz'schen Erben zu veranlassen, ihrer grossartigen Schenkung an den Kanton Zürich noch die schöne Summe von 25’000 Fr. als Beitrag „an den Bau einer Sternwarte" beizufügen. Nun kam es zu ernstlichen Verhandlungen zwischen Kanton und Schulrath, und Dank der energischen Anhandnahme des Geschäftes durch Herrn Schulrathspräsident Kappeler, dem ebenso bereitwilligen Entgegenkommen des Herrn Erziehungsdirectors Dubs, und dem von den Herren Bundesräthen Furrer und Pioda bei den eidgen. Behörden geleisteten Vorschube, ging es endlich rasch dem Ziele entgegen.

Schon 1860 V 30 wurde in meinem Beisein von den Herren Kappeler und Dubs ein Vertragsentwurf vereinbart, nach welchem der Bau der Sternwarte durch den Bund übernommen werden sollte, während der Kanton Zürich neben Verabfolgung des Kunz'schen Legates sammt Folgen, einen zweckdienlichen Bauplatz zu beschaffen und für beständige Freihaltung der Beobachtungssphäre zu sorgen hätte. Bald vereinigte man sich auch über einen Bauplatz in den Spitalreben am sog. Schmelzberge, und, nachdem ich dem Schulrathe ein detaillirtes Bauprogramm vorgelegt hatte, in welchem, ausser Wohnräumen für die Angestellten, ein Meridianzimmer mit zwei Meridiandurchschnitten, ein Thurmzimmer mit Drehdach und isolirtem Pfeiler, eine geräumige Terrasse für die Uebungen im Freien, ein Hörsaal, etc. vorgesehen war, erhielt Prof. Semper den Auftrag, in Verständigung mit mir, ein Bauproject auszuarbeiten, dessen Kostenberechnung sodann 90’000 Fr. ergab (1).

Unterdessen wurden auch von den Delegirten und Behörden die Verhandlungen definitiv abgeschlossen, und der wesentlich mit dem frühern Entwurfe übereinstimmende Vertrag, nachdem die beiden eidg. Räthe die nöthigen Gelder bewilligt hatten, 1861 VII 21 vom Bundesrathe ratificirt. Nachdem 1861 VIII 7, anlehnend an eine von mir ermittelte Mittagslinie, die Aussteckung des Gebäudes erfolgt war, und, nach Ablauf des Termines für Einsprachen, im Herbst einige Erdarbeiten stattgefunden hatten, wurden im Winter unter Leitung von Semper die eigentlichen Baupläne ausgefertigt, und durch mich der Instrumentenvorrath durch Bestellung eines achtfüssigen, mit Merz'schen Gläsern und vollständiger parallaktischer Montirung versehenen Refractors bei Kern in Aarau, — eines Walzenchronographen und dreier sympathischer (durch die mit elektrischer Auslösung versehene Repsold'sche Uhr in Gang zu bringender) Uhren bei Hipp in Neuenburg, — und eines Regulators bei der Association ouvrière au Locle vervollständigt, — wobei zugleich in Aussicht genommen wurde später den bereits vorhandenen Sechsfüsser zur Construction eines grössern Meridianinstrumentes zu verwenden. —

Die Bauzeit dauerte von 1862 III 27, wo der erste Stein gelegt wurde, bis Ende Juni 1864, wo die Kuppel zur Aufstellung des Refractors bereit war; doch konnte ich schon 1863 XI 16 ein erstes Zimmer und 1864 III 18 die ganze Wohnung beziehen, IV 27 die erste Vorlesung im Hörsaale, V 10 die erste Uebung auf der Terrasse abhalten, V 16 mit einer Beobachtung Saturns die Arbeiten am Ertel'schen Meridiankreise beginnen, und als sich VIII 21—25 die Schweiz, naturf. Gesellschaft in Zürich einfand, hatte ich die Freude meinen Fachgenossen Hirsch, Plantamour und Schweizer, und vielen andern sich dafür interessirenden Mitgliedern, die neue Anstalt in annähernder Vollendung zu zeigen.

Den officiellen Abschluss bildete die 1864 X 23 von den durch den Bundesrath bezeichneten Experten Prof. Hirsch und Architekt Kubli vorgenommene Collaudation, welche mir die Bewilligung zur Ausführung des zweiten Meridiankreises und zur Bestellung eines zweiten Regulators bei Mairet in Locle eintrug.
Bau und Ausrüstung zusammen kamen schliesslich auf 250’000 Fr. zu stehen, von welchen circa 70% auf die eigentliche Bausamme, 20 auf die Instrumente, und 10 auf das officielle Mobiliar, die Gas-und Telegraphenleitung, etc. fielen. —

Seither konnten keine grössern Anschaffungen mehr gemacht werden, doch sind immerhin (2) einige werthvolle Bereicherungen hinzugekommen, wie ein elektrisches Secundenpendel von Hipp mit Auslösung für s. Walzenchronographen oder einen Hasler'schen Streifenchronographen, ein zweiter astronomischer Theodolit von Ertel, ein Spiegelkreis von Pistor, ein Spektroskop von Merz, etc., und überdiess ist durch Geschenke und einzelne Ankäufe eine Sammlung von historischen Apparaten und Abbildungen im Werden, welche bereits schon manches interessante Stück aufweist.

Von den wissenschaftlichen Arbeiten, die ich und meine Assistenten (3), trotz der im Sommer durch die Uebungen beanspruchten Zeit, ausführen konnten, geben die in der Vierteljahrsschrift der Zürcher, naturf. Gesellschaft publicirten „Astronomischen Mittheilungen“ (4) einlässliche Kenntniss. Es mag somit hier nur beiläufig erwähnt werden, dass für die neue Sternwarte die

ETH Länge und Breite

gefunden wurde; die Breitenangabe ist definitiv, und beruht auf 1369 von mir 1874 V 31 bis 1877 V 16 gemessenen Zenithdistanzen, — die Längenangabe ist dagegen nur vorläufig, mit Hülfe der später zu erwähnenden telegraphischen Längenvergleichungen, aus Neuenburg (resp. Genf) und Pfänder (resp. Wien) abgeleitet, und kann nach definitivem Abschlusse der Längenpolygone noch eine kleine Veränderung erleiden. —

Zum Schlusse erwähne ich, dass ich für kleinere Arbeiten früher bei Jakob Goldschmid und seit s. Tode bei Friedrich Meyer in Zürich mechanischen Beistand fand (5), — für grössere bei dem schon durch s. Construction des Refractors und des zweiten Meridiankreises bewährten Mechaniker Emil Kern von Aarau (6).