Kapitel XXIII. Die geodätische Commission.

 

175. Die Betheiligung der Schweiz und ihre geodätische Commission.

Der bereits erwähnte, von General Baeyer im April 1861 gemachte
„Entwurf zu einer Mittel-Europäischen Gradmessung" wurde 1861 VII 7 von der
k. preussischen Gesandtschaft auch dem Schweiz. Bundesrathe vorgelegt, und derselbe eingeladen „an der Verwirklichung des in Rede stehenden Planes" Theil zu nehmen.

Das zum Referate aufgeforderte eidgen. Departement des Innern sandte nun die Eingabe theils an General Dufour als Chef des eidg. topogr. Bureau's, theils an die schweizer, naturf. Gesellschaft zur Begutachtung. Dufour antwortete 1861 VIII 14 in empfehlendem Sinne, und schrieb namentlich:
„Mon avis est que nous ne pouvons pas faire autrement que de participer, dans les limites de nos ressources pécuniaires, à cette opération scientifique, de même que nous avons pris une part très active à la détermination des poids et mesures métriques par la présence de feu le Prof. Tralles dans la grande commission internationale qui, à cet effet, avait été appelée à Paris malgré l'état où se trouvait alors l'Europe."

Der naturf. Gesellschaft wurde während ihrer Sitzung in Lausanne 1861 VIII 20—22 von dem Entwurfe Kenntniss gegeben; derselbe wurde sodann in der Sitzung der physicalisehen Section einlässlich discutirt, besonders durch Ritter von Genf und Hirsch von Neuenburg warm befürwortet, und beschlossen bei der allg. Gesellschaft nicht nur zu beantragen, ein empfehlendes Gutachten abzugeben, sondern eine eigene Commission zur ernstlichen Förderung dieses Unternehmens niederzusetzen;
die allg. Gesellschaft nahm hierauf VIII 22 diese Anträge wirklich an, und bestellte ihre geodätische Commission mit R. Wolf als Präsident, H. Dufour, E. Ritter, A. Hirsch und H. Denzler (1). —

Nachdem der Bundesrath von der Wahl der Commission Kenntniss genommen, eröffnete er vorläufig für dieselbe einen kleinen Credit für Auslagen und für Entschädigung der Mitglieder „nach Maassgabe nationalräthlicher Commissionen" im Falle nöthig werdender Sitzungen. Anderseits erhielt ich von General Baeyer 1861 X 2l auf meine, behufs genauerer Orientirung, an ihn gestellte Anfrage, folgende Antwort:

„Sie wollen von mir wissen wie ich mir die Mitwirkung von der Schweiz denke. Ich will Ihnen daher meine Ansicht, ohne irgendwie vorgreifen zu wollen, hier näher auseinander setzen. Wie ich mir die Sache denke, so würde die ganze Operation in zwei Theile zerfallen, — in den geodätischen Theil und in den astronomischen Theil, die ich gesondert betrachten werde.

1. Der geodätische Theil. In der Triangulation der Schweiz, die 1840 von Eschmann herausgegeben ist, wären zunächst, indem man von der sichersten Grundlinie ausgeht, die Differenzen der Anschlussseiten an die Nachbarstaaten zu ermitteln, — diese Differenzen zu halbiren (die andere Hälfte der Fehler müssen die Nachbarstaaten übernehmen), — und dann das ganze Netz der Hauptdreiecke nach der Methode der kleinsten Quadrate durch Winkel Verbesserungen so auszugleichen, dass die übernommenen halben Differenzen verschwinden.

Dadurch erhält man die wahrscheinlichsten Werthe der Seiten und Winkel des ganzen Hauptnetzes. Diese Arbeit ist nicht sehr gross, da sie nur auf so viele Endgleichungen führt, als verschiedene Anschlusseiten vorhanden sind. —

Wenn die vorhandenen Sternwarten mit dem Hauptnetz noch nicht verbunden sind, so würden zu diesem Zweck die erforderlichen kleinen Triangulationen auszuführen sein, damit die kürzesten Linien zwischen den Sternwarten berechnet werden können, sowie die Winkel welche diese kürzesten Linien in den Mittelpunkten der Sternwarten mit den Dreiecksseiten daselbst bilden. Z.B. Distanz Bern-Zürich, Winkel Röthi-Bern-Zürich und Winkel Lägern-Zürich-Bern. —

2. Der astronomische Theil. In Bern ist das Azimuth der Seite Bern-Röthi, in Zürich das Azimuth der Seite Zürich-Lägern zu bestimmen, woraus man dann die Azimuthe der Seite Zürich-Bern leicht ableiten kann. Hierzu kommen noch die Polhöhen; dann ist alles beisammen was ich unter Polar-Coordinaten verstehe.

Die Polar-Coordinaten von sämmtlichen Schweizer-Sternwarten bilden den speciell Schweizerischen Antheil. Dazu kommen dann aber noch die Anschlüsse im Süden und Norden, d.h. die Polarcoordinaten mit den Sternwarten von Turin und Mailand, von Mannheim und München. —

Hiermit wäre das Nothwendige beschafft was die feste Grundlage für alle wissenschaftlichen Untersuchungen über Krümmung der Oberfläche bildet; wenn aber das Ganze vollständig werden soll, so fehlen noch die Bestimmungen der astronomischen Längenunterschiede vermittelst der electrischen Telegraphen. Dieselben controliren die Azimuthe, und liefern in Verbindung mit den Polarcoordinaten überschüssige Daten um die Ablenkungen der Lothlinien an einzelnen Punkten näher zu bestimmen. —

Als wünschenswerth würde endlich auch noch die Bestimmung der Längen des Sekundenpendels auf den betreffenden Sternwarten anzusehen sein. Das Wichtigste bleiben aber immer die Polarcoordinaten; wenn diese einmal beschafft sind, so kann das Andere nach und nach hinzugefügt und ergänzt werden." —

 

Ich [ Wolf ] erliess hierauf 1861 XII 19 ein erstes Circular an die Commission, in welchem ich das bisher Geschehene bekannt gab, und einem Auszuge aus der Antwort von Baeyer in Form von Fragen eine Art Programm für die ersten Berathungen derselben folgen liess; namentlich gab ich zu bedenken, ob das vorhandene schweizerische Dreiecksnetz nach Anlage, Beobachtung und Berechnung so beschaffen sei, dass es sich ohne weiteres zu der neuen Verwendung eigne, eventuell, welche trigonometrischen Neumessungen und Rechnungen nöthig sein dürften, — was in Beziehung auf astronomische Bestimmungen und Pendelmessungen anzuordnen wäre, — und dann namentlich auch welche Summe dem Bundesrathe als diejenige zu bezeichnen sein dürfte, zu deren Beschaffung er sich durch definitives Eingehen auf das Gesuch des Herrn General Baeyer verpflichten würde.

Nachdem sodann von sämmtlichen Mitgliedern mehr oder weniger eingehende schriftliche Antworten eingegangen waren, lud ich die Commission auf 1862 IV 11 zu einer ersten Sitzung auf der Sternwarte in Neuenburg ein, in der nun mein Programm Punkt für Punkt einlässlich berathen und darauf folgender Beschluss gefasst wurde:
„La commission se prononce à l' unanimité pour la convenance qu'il aurait à ce que la Suisse s'associe à l'entreprise internationale proposée par le Général Baeyer, comme étant d'un grand intérêt pour la science", —
in Beziehung auf Kosten und Zeitdauer beifügend, dass sich dieselben auf beiläufig (2) 32’000 Fr. und vier Jahre belaufen möchten." —

Nach Empfang des Protokolls dieser Sitzung sammt angemessenem Begleitschreiben von mir, — einer dringenden Empfehlung unserer Beschlüsse durch die im Sommer 1862 in Luzern versammelte schweizerische naturforschende Gesellschaft, — und Eingang einer von mir zur Vertheilung an die Mitglieder der Bundesversammlung bestimmten kleinen Schrift „Ueber die Bedeutung der sog. mitteleuropäischen Gradmessung für die Kenntniss der Erde im Allgemeinen und für die Schweiz- im Besondern. Zürich 1862 in 8",
wurde 1862 XII 18 vom eidg. Departement des Innern der Antrag gestellt dem internationalen Unternehmen beizutreten, und
„bei der bevorstehenden Bundesversammlung für die mitteleuropäische Gradmessung einen Nachtragscredit von Fr. 12364 für 1863 (fernere Fr. 8000 würden für 1864 und je Fr. 6000 für die beiden folgenden Jahre laut Voranschlag nöthig werden) zu verlangen", und dieser Antrag XII 19, unter Anzeige an die preussische Gesandtschaft, von dem Bundesrathe zu dem seinigen gemacht.

Am 31. Januar 1863 bewilligte die Bundesversammlung den Credit und III 18 beschloss der Bundesrath
„es sei der preuss. Gesandtschaft die Mittheilung zu machen, dass die Schweiz der beabsichtigten mitteleuropäischen Gradmessung beitrete, und dass Hr. Prof. Rud. Wolf in Zürich, in s. Eigenschaft als Präsident der dafür bestellten geodätischen Commission der Schweiz, naturf. Gesellschaft, ermächtigt sei sich, behufs weiterer Verständigung über die Ausführung des gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Unternehmens, mit dem preuss. Bevollmächtigten, Hrn. Generallieutenant Baeyer, in Verbindung zu setzen." —

 

Da gegenwärtige Geschichte nur eine Vorgeschichte der ohnehin theils bereits veröffentlichten, theils zur Veröffentlichung bestimmten Arbeiten der geodätischen Commission sein soll, so könnte ich hiemit abschliessen; aber ich glaube dennoch unter den folgenden Nummern noch eine, wenn auch nur ganz kurze Uebersicht der nunmehr von der Commission definitiv getroffenen Anordnungen, der bisher erhaltenen Resultate und der noch künftig notwendigen Arbeiten geben zu sollen.