Kapitel XXI. Die kantonalen Sternwarten.

 

162. Die Sternwarte in Bern.

Schon 1812 wurde zu Bern auf dem höchsten Punkte der 1622 nordwestlich von der Stadt über einer Moraine aufgeführten grossen Schanze eine hölzerne „Barraque" für die damals von Delcros, Henry und Trechsel unternommenen astronomischen Bestimmungen aufgestellt (1), und Trechsel bemühte sich von dieser Zeit an unablässig dieselbe durch ein dauerhafteres, grösseres und zweckmässiger eingerichtetes Gebäude zu ersetzen, — eine eigentliche, wenn auch bescheidene Sternwarte zu erhalten.

Schon 1813 trat er darüber mit Feer in Correspondenz, der ihm hierauf VIII 14 mehrere Entwürfe für einen solchen kleinen Bau übersandte, beifügend:
„Wenn einer dieser Pläne, sei er so wie er da ist, oder allenfalls mit Veränderungen wirklich Beifall fände, so will ich gerne eine grössere und detaillirtere Zeichnung verfertigen. Ich weiss zwar, dass Sie mit geschickten Architekten versehen sind; aber da nur selten ein solcher Künstler die Bedürfnisse des Astronomen kennt, so opfert er öfters einer schönen Form des Gebäudes das Wesentliche auf; in meinen Zeichnungen finden Sie vielleicht das Gegentheil."

Auch Henry interessirte sich lebhaft für das Project, und schrieb muthmasslich in demselben Jahre (2) aus Strassburg an Trechsel:
„Qu'est devenu le projet de bâtir votre observatoire en pierre? Etes-vous parvenu à en faire sentir l'importance aux chefs de votre gouvernement de manière à provoquer une décision en faveur de cet établissement. Ce qui m'en fait douter, c'est que vous ne m'en dites rien et c'était une nouvelle à m'annoncer à raison de l'intérêt que j'y prends. Si cela ne se fait bientôt vous aurez des instrumens sans observatoire, ce qui sera le contraire de ce qui est arrive jusqu'à présent. Insistez et ne vous rebutez pas; on finira par faire ce que vous désirez."

Aber trotzdem Trechsel dem letztern Rathe treulich folgte, hatte er noch 1817 in einem Briefe an Horner über seine „morsche baraque auf der Schanze" zu klagen, in der er zwar einige Uebungen vornehmen, aber bei den mangelhaften Einrichtungen und Instrumenten nichts Ordentliches machen könne, — und erst 1821, nachdem bereits Trechsel's Muth zu astronomischen Arbeiten durch das lange Warten und das vorgerückte Alter halb gebrochen war, wurde zu einem kleinen Neubau geschritten, und auch da noch so geringe Mittel für denselben angewiesen, dass man sich auf einen achteckigen Saal von circa 10 Fuss Durchmesser beschränken musste, dem man durch eine ziemlich unzweckmässige, den ohnehin engen Meridiandurchschnitt noch mehr verkümmernde, thurmartige Ueberdachung nach aussen etwas mehr Ansehen zu geben suchte, — von einem heizbaren Rechnungs-Zimmerchen, das Feer in alle s. Entwürfe aufgenommen hatte, war keine Rede mehr, und noch viel weniger von Beschaffung neuer Instrumente (3).

In Beziehung auf Letztere war Trechsel fast ausschliesslich auf diejenigen angewiesen, welche theils s. Vorgänger und Lehrer Tralles, theils er selbst für geodätische Operationen herbeizuschaffen gewusst hatten:
Ausser dem uns schon bekannten Ramsden'schen Azimuthalkreise (4), dessen Versicherungsfernrohr er durch Ulrich Schenk mit einem füssigen Einstellungskreise versehen und als Mittagsrohr aufstellen liess, — und den seiner Zeit für Tralles durch Hurter bezogenen Instrumenten (5), einer Pendeluhr von Vulliamy, einem Dollond'schen Fernrohr von 30'" Oeffnung auf 3½' Focaldistanz, etc., — hatte er für s. Warte nur noch einen Schenk'schen Bordakreis von 18", einen Reichenbach'sehen Theodoliten von 12", einen kleinen Spiegelsextanten, ein Brander'sches Declinatorium und einige meteorologische Instrumente.

Trechsel besass somit in s. Sternwarte kaum ein genügendes Hülfsmittel für den Unterricht in der Astronomie, geschweige dass ihm s. Instrumente erlaubt hätten regelmässige Beobachtungen von wissenschaftlichem Werthe zu machen, und so ist wohl in s. Briefen an Horner wiederholt von einzelnen Bestimmungen die Rede, die er gemacht habe oder machen wolle (6), aber in die Oeffentlichkeit drang meines Wissens nur die Beobachtung der Sonnenfinsterniss von 1836 V 15 (7). Wie dem aber auch sei, Trechsel bleibt das grosse Verdienst durch s. Beharrlichkeit unter ungünstigen äussern Verhältnissen ein wissenschaftliches Institut ins Leben gerufen zu haben, dessen spätere Ausbildung nur eine Frage der Zeit sein konnte. —

Als Trechsel im Frühjahr 1847 von Professur und Sternwarte zurücktrat, und Letztere mir
[ Wolf ] übergeben wurde, sah das von mächtigen Bäumen umschattete Häuschen (8), dessen Umlauf als öffentliche Promenade erklärt worden war, mit seiner Inschrift „Uraniæ" eher wie die Grabstätte der Urania, als wie eine unter ihren Schutz gestellte Werkstätte aus, und ich muss mich jetzt fast verwundern, dass ich damals den Muth fand den Versuch zu wagen, dem verkümmerten Institute bessere Tage zu verschaffen, — aber es gelang nach und nach meinem festen Willen:
Ich hatte damals bereits die mir früher aus nichtigen Gründen verweigerte Venia docendi erhalten, ja war zum besoldeten Docenten vorgerückt (9), und hatte schon wiederholt über Astronomie gelesen, mich aber bis dahin für Demonstrationen mit einer ganz ungenügenden Vorrichtung auf der Altane der Realschule begnügen müssen.

Es war somit die freie Verfügung über die kleine Sternwarte und ihren Instrumentenvorrath immerhin ein Fortschritt für mich, und da es mir überdiess ziemlich bald gelang die Bewilligung zu erhalten das Territorium der Sternwarte wieder abzuschliessen (10), und die, die Beobachtungssphäre arg beschränkenden Bäume umschlagen zu lassen (11), ja mir 1848 ein Vorzimmerchen und ein Kabinetchen mit Kamin angebaut wurde, so konnte ich doch immerhin, ausser annähernden Zeitbestimmungen und meteorologischen Aufzeichnungen, einige werthvolle Beobachtungsserien über Sonnenflecken, Sternschnuppen, das Alpenglühen, etc. beginnen (12).

Einen Wendepunkt bildete das Jahr 1852. wo die philosophische Facultät der Berner-Hochschule bei Anlass der Aufstellung der Sonnenfleckenperiode von 11 1/9 Jahren durch Ertheilung der Doctorwürde meine Bestrebungen anerkannte, während gleichzeitig Verhandlungen über Erweiterung der Sternwarte zu Gunsten der Zeitabgabe an das Schweiz. Telegraphenamt in Gang kamen (13).

Die schliessliche Folge war, dass im nächsten Jahre die Sternwarte durch Abdecken des Meridiansaales und Anbau eines kleinen Thurmes mit Drehdach bedeutend gewann (14) — dass ich einen kleinen Jahrescredit (15), und für Bestellung eines 20zölligen Meridiankreises von Ertel mit mikroskopischer Ablesung einen Extracredit erhielt, — und dass mir, wenn auch ohne Zulage, ein Extraordinariat für Mathematik und Astronomie ertheilt wurde. Im Frühjahr 1854 wurde der Meridiankreis aufgestellt (16), mit welchem ich alsbald einige Bestimmungen über Länge und Breite vornahm, die mir, in Verbindung mit einigen früher gemachten Beobachtungen, aus Sternen im Parallel des Mondes und aus Zenithdistanzen die nicht übeln Werthe

Länge und Breite

ergaben (17), welchen noch, als Resultat einer von mir 1850 durch Messung der Zenithdistanz des Belpbergs übergetragenen Eschmann'schen Höhenbestimmung, die

Meereshöhe

für den Boden der Sternwarte beigefügt werden darf (18). — Von andern, durch mich bis zu meinem Abgange von Bern im Sommer 1855 gemachten astronomischen und meteorologischen Arbeiten Umgang nehmend, habe ich noch über die seitherige Geschichte der Sternwarte folgende Nachrichten zu geben:
Von 1855—59 hatte Joh. Koch (19), der mich schon einige Zeit assistirt hatte, die Gefälligkeit zuerst als mein Verweser, dann als Stellvertreter des 1856 zum Professor der Physik und Director der Sternwarte ernannten, aber sich nicht mit Astronomie befassenden Beetz, die nöthigsten Bestimmungen fortzuführen (20). A. 1859 übernahm des Letztern Amtsnachfolger Heinrich Wild (21) die Sternwarte, und machte in den ersten Jahren gemeinschaftlich mit s. Freunde Georg Sidler (22) einige astronomische und magnetische Bestimmungen (23), erwarb auch für die Sternwarte eine neue Uhr von Tiede mit electrischer Auslösung und einen Hasler'schen Chronographen; später interessirte er sich jedoch mehr und mehr für Meteorologie, stellte von ihm und Hasler ausgedachte und ausgeführte Registrirapparate auf, für die ein neuer Anbau gemacht wurde, und führte nach und nach die Sternwarte in ein tellurisches Observatorium über, in welchem die Astronomie nur noch „den Winkel im Hause" behielt.

Dieselben Verhältnisse blieben als 1871 Forster (24), nachdem ein 1869 beim Abgange von Wild's Nachfolger Paalzow gemachter Versuch die Besorgung der Sternwarte von der Professur der Physik abzulösen, in Folge Nachlässigkeit des dafür Erkornen total missglückt war, sich auf Wunsch der Direction des Innern in den Riss stellte, und nicht nur die Wild'sehen Apparate wieder in regelmässigen Gang brachte, sondern sie noch vermehrte und das Untersuchungsfeld ausdehnte.

Seiner Rührigkeit gelang es sogar 1875 die Behörden dazu zu bringen einen ziemlich grossartigen, der Physik und Astronomie gewidmeten Neubau zu beschliessen, der nunmehr bereits vollendet und bezogen ist (25), und in dem, wenn auch Physik und Meteorologie jederzeit den Vorrang haben werden, auch die Astronomie eine ganz anständige Rolle spielen kann, wenn man ihr einst die dafür nöthigen Mittel anweisen wird. Zum Schlusse mag noch angeführt werden, dass Forster in der von Hermann (erst mit Studer, dann mit Pfister) errichteten mechanischen Werkstätte und der von Hasler geleiteten Telegraphenwerkstätte die ihm nöthige mechanische Hülfe reichlich findet (26).