Kapitel II. Die ältesten Karten

 

5. Tschudi's Schweizerkarte

Wie bereits angedeutet, benutzte Tschudi die von ihm gesammelten Notizen und Handrisse um ein Gesamtbild von seinem Vaterlande und dessen nächster Umgebung, eine erste Schweizerkarte, anzufertigen, welche er seiner „alpisch Rhätia" beizulegen gedachte. Da ich das Original dieser Karte nicht kenne (1), so halte ich mich an einen auf der Universitäts - Bibliothek zu Basel aufbewahrten Abdruck derselben (2) , welcher die Aufschrift „Nova Rhaetiae atque totius Helvetiae descriptio per Aegidium Tschudum Glaronensem" trägt, und eine Breite von beiläufig 135 auf 125 cm. Höhe besitzt (3). Die Karte ist so orientirt, dass Süd oben steht, wo man gerade noch Cremona und Novara sieht, — während links Garda und Finstermünz, — unten Rottwyl und Besancon, — und rechts Grenoble und Verdun nahe am Rande stehen. Die Zeichnung selbst ist ziemlich roh, — die Contouren der Seen sind äusserst ungenau, — die Bergketten sehen wie Schieferdächer aus, — etc.; dagegen ist die Karte schon ziemlich reichhaltig, indem sich die Anzahl der dargestellten Objekte (4) doch immerhin auf etwa 1300 beläuft.

Die Genauigkeit der Anlage prüfte ich bei dieser und folgenden Karten übereinstimmend, indem ich eine Anzahl von Distanzen sowohl auf der zu untersuchenden Karte, als auf unserer neuen „Generalkarte der Schweiz in vier Blättern" maass, wobei ich, wenn eine kleine Specialkarte vorlag, in der Regel je einen Punkt gegen die Mitte und fünf Punkte gegen den Rand hin wählte, welche mir also fünf um einen Centralpunkt herumliegende Dreiecke, und damit eine Folge von fünf radialen und fünf peripherischen Distanzen ergaben; bei grössern Specialkarten benutzte ich je zwei, — bei ganzen Schweizerkarten je vier solcher Polygone (5). Aus der Gesammtheit der gemessenen Distanzen leitete ich den mittlern Maassstab der zu prüfenden Karte ab (6), — reducirte sodann mit seiner Hülfe jede ihr entnommene Distanz auf den Maassstab der Generalkarte, — verglich das Resultat mit dem Letzterer enthobenen Werthe, berechnete den mittlern Unterschied in Millimetern, und betrachtete diesen als Maass der Genauigkeit für die vorliegende Karte (7).

Da bei dem Maassstab der Generalkarte 4,19 und 30 mm. der Reihe nach etwa einen Kilometer, eine Schweizerstunde und eine geographische Meile repräsentiren, und bei der Karte von Tschudi jener mittlere Unterschied + 28,7, also nicht einmal eine volle Meile betrug, obschon einzelne der gemessenen Distanzen über Berg und Thal gingen, so hatte ich den Schluss zu ziehen, dass die Anlage dieser Karte sogar genauer sei, als man unter den gegebenen Umständen erwarten durfte, — ja dass Tschudi muthmasslich schon einige ihm die Anlage seiner Karte erleichternde Vorarbeiten habe benutzen können. Als ich dann aber nach solchen Vorarbeiten suchte, fand ich nichts von grosser und nur ein Stück von etwelcher Bedeutung (8): Die von Albert von Bonstetten (9), der etwa 1445 auf der Burg Uster geboren wurde, nach gründlichen Studien in Basel und Pavia, in Einsiedeln 1474 die Priesterweihe erhielt, und dort, mit literarischen Arbeiten beschäftigt, etwa bis 1510 lebte, — Ludwig XI. gewidmete und 1846 von der antiquarischen Gesellschaft in Zürich dem 3. Bde. ihrer Mittheilungen einverleibte „Descriptio Helvetiae", welche als ältestes Buch über die Schweiz betrachtetwird, mag nach gewissen Richtungen grosses Interesse darbieten, aber für die Topographie unsere Landes fällt sie fast ausser Betracht (10). Ebenso boten die alten Itinerarien, unter welchen namentlich die nach dem Augsburgischen Gelehrten Konrad Peutinger (11) benannte, aber muthmasslich aus der Zeit Theodosius des Grossen stammende „Tabula Peutingeriana" berühmt geworden ist, für Tschudi's Arbeit nur ausserordentlich wenige Anhaltspunkte, da durch sie wohl einige durch unser Land ziehende römische Militärstrassen bekannt gegeben werden, aber kein Bild desselben zu entwerfen versucht wird. Die Gallien betreffende Tafel der Geographie des Ptolemäus endlich gibt allerdings beiläufig einige rohe Andeutungen über die Existenz von Jura, Alpen und einigen Gewässern, sowie die Namen von ein Halbdutzend Ortschaften in diesen Gegenden; aber darin eine Grundlage für Tschudi's Arbeit suchen zu wollen, dürfte denn doch nicht wohl Jemand ernstlich einfallen.

Wenn irgend etwas als Vorarbeit betrachtet werden könnte, so wäre es die „Tabula nova Heremi Helvetiorum", welche Martin Waldseemüller oder Hylacomylus der von ihm, mit Mathias Ringmann oder Philesius besorgten, 1513 zu Strassburg durch Johannes Schott verlegten Ausgabe der Geographie des Ptolemäus beifügte (12): Diese Tafel, welche 52 cm. Breite auf 41cm. Höhe hat, stellt nämlich den zwischen den angeblichen Parallelen von Chur und Basel, und den Meridianen von Ueberlingen und Freiburg enthaltenen Theil der Schweiz mit seinen Ortschaften, Seen, Flüssen und Bergen, wenn auch in rohester, doch bereits einigermassen übersichtlicher Weise vor, und obschon sie im Detail fast noch mangelhafter als in der allgemeinen Anlage ist (13), so kann man ihr doch nicht jedes Verdienst absprechen, ja es ist wenigstens gedenkbar, dass sie Tschudi für seine Arbeit einige erste Anhaltspunkte gab. Sie constatirt jedenfalls einen Fortschritt gegen die noch frühern Versuche nach Art der Wegkarten eine Folge von Ortschaften aufzutragen, oder nach Art von Bonstetten anzugeben, nach welchen Himmelsrichtungen von einem gewissen Punkte aus einzelne andere Orte liegen; aber den Namen Karte verdient sie doch noch kaum, sondern nur den eines schematischen Ortsverzeichnisses, — da weder die mathematischen Verhältnisse, noch die topographische Darstellung auch nur den allergeringsten Ansprüchen gerecht werden.

Es darf also wohl mit vollem Recht die Arbeit von Tschudi als erste Karte der Schweiz betrachtet werden.