Kapitel III. Die ersten Aufnahmen

 

19. Hans Conrad Gyger.

Zu Zürich am 22. Juli 1599 dem Glaser und nachmaligen Ehegerichtsweibel Georg Gyger geboren, dessen älterer Bruder Christoph Stadtarzt und Professor der Physik war, während ein jüngerer Bruder Philipp sich als deutscher Schul- und Rechenmeister bethätigte, legte sich der talentvolle Hans Conrad Gyger, zu dessen tüchtiger Vorbildung wohl die genannten zwei Oheime beigetragen hatten, unter Leitung von Christoph Nüscheler mit grossem Erfolge auf die Malerei, und es wird ihm von Füssli namentlich nachgerühmt, dass er Erfinder der Kunst gewesen sei „mit Schmelzfarben auf Trink- und Spiegelgläser" zu malen, ja dass seine Emailarbeiten allgemein bewundert worden und vielfach als Geschenke an auswärtige Höfe abgegangen seien. Noch viel bedeutender sind jedoch entschieden die Leistungen Gygers auf dem Gebiete der angewandten Mathematik, speciell der Topographie. Ob ihn sein Oheim Philipp, oder der treffliche Ingenieur Ardüser (1) in diese Zweige einführten, oder ob er s. Weg selbst suchte und fand, — ob er bei der bereits erwähnten Arbeit von Johannes Murer (2) Lehrling oder Gehülfe war, — kurz über seine ganze Jugendzeit haben sich keine sichern Nachrichten erhalten, — nur darf man aus dem Eingange seiner sofort mitzutheilenden Zuschrift von 1668 schliessen, dass er schon im Jahre1622, aus welchem seine erste bekannte topographische Arbeit datirt, in diesen Fächern kein Neuling mehr war. Denn in der That ist die in jenem Jahre von Gyger gezeichnete, und unter dem Titel „Wahrhaffte Verzeichnus des Prättigöws, der Herschafft Meyenfeldt, gelegenheit umb Chur und Angräntzenden Landschafften. Sampt den Treffen so die Pündtner mit Ihren Feinden gethan" publicirte, 34 ½ auf 25 ½ cm. haltende Karte, kaum die Arbeit eines Anfängers; denn wenn sie auch nicht auf Genauigkeit der Anlage Anspruch machen kann (3), und offenbar nicht auf Messung, sondern höchstens auf Combination der vorhandenen mangelhaften Karten mit eigener Anschauung der Terrainverhältnisse beruht, so sind Letztere im Vergleich mit jenen Karten so trefflich dargestellt, dass man bereits auf vorhandene Uebung von Blick und Hand schliessen muss.

Von der 1630 durch Gyger begonnenen grossen Arbeit, und den sie vorbereitenden oder mit ihr zusammenhängenden Leistungen, werden die folgenden Nummern ausführlich handeln, so dass hier nur noch seine übrigen Unternehmungen und seinen spätern Lebensverhältnisse zu gedenken ist, und zwar mögen die spärlichen betreffenden Notizen in chronologischer Ordnung folgen:

— Im Jahre 1635 erhielt die Kunstkammer in Zürich von Hans Conrad Gyger „seine Geographische Tafel des Schweizerland, Pündten und Wallis. Illumirt" zum Geschenke. Sie ist leider verloren gegangen; aber man darf daraus schliessen, dass er schon damals eine solche Karte entworfen hatte.
— Im Jahre 1637 construirte Gyger unter dem Titel „Die Eidgenossenschaft, Pünten und Wallis. Helvetia cum confiniis. Hans Conrad Geiger von Zürich fecit Anno 1637" eine kleine Schweizerkarte, welche spätestens 1642 mit Merians „Topographia Helvetiae foederatae" ausgegeben wurde (4). Es ist ein Blatt von nur 36 auf 28 cm., das aber schon ganz die Geiger'sche Manier in der Bergdarstellung zeigt, und für seinen reichen Inhalt noch recht lesbar ist; wohl am schlechtesten ist der Luganer-See ausgefallen
— Im Jahre 1647 wurde Gyger zum Amtmann am Kappelerhof ernannt, — eine gesuchte Beamtung, welche ihm später zur Belohnung für seine Arbeiten „auf unbestimmte Zeit" verblieb.
— Im Jahre 1657 erschien unter dem Titel „Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae caeterorumque confoederatorum ut et finitimorum populorum tabula geographica et hydrographica nova et exacta, opera et studio Joh. Conradi Gygeri Helv. Tig. delineata et a Conrado Meyero in aes incisa A. Chr. 1657" eine aus zwei Blättern zusammengesetzte Schweizerkarte von 76 auf 55 cm. (5) , welche zur Zeit ausserordentlich geschätzt und vielfach nachgebildet wurde (6). Die Anlage derselben ist im grossen Ganzen zwar nicht wesentlich besser als bei Gyger's Vorgängern (7); dagegen ist im Detail Manches berichtigt und namentlich die Darstellung des Terrains um Vieles besser, trotzdem dass entweder Conrad Meyer (8) den Stich etwas zu wenig scharf und tief ausführte, oder die mir zur Ansicht gekommenen Exemplare erst nach bereits zu starker Abnutzung der Platten abgezogen worden waren. Dass Gyger von der Regierung für diese Karte beschenkt worden sei, findet sich nirgends erwähnt, während dagegen (9) die Rechnung des Seckelamts der Stadt Zürich von 1682 ein Posten von 48 Pfd. für „Nicolas Fischeren, kupferstechern zu Amsterdam, wegen dediciert und verehrten eidgenössischen carten, lut rathserkantnuss zu einer Verehrung", enthält, was insofern interessant ist, als auf diese Weise, obschon gewiss unbewusst, die Zürcher-Regierung einen zum Schaden eines Landeskindes von einem Ausländer unternommenen Nachdruck noch honorirte; denn die von Nicolaus Visscher in Amsterdam herausgegebene und von Mogeboom gestochene, den Titel „Exactissima Helvetiae, Rhaetiae, Valesiae ceeterorumque ut et finitimorum populorum regionum Tabula" führende Karte von 55 auf 46 cm. ist nach Anlage (10) und Detail ganz der Gyger'schen entnommen, und hat einzig das Verdienst die in der Letztern und sogar noch bei Scheuchzer vorkommenden groben Fehler in der Lage von Pruntrut und Umgegend merklich verbessert zu haben. Ein wahrscheinlich dadurch veranlasster Versuch von Joh. Georg Gyger (11) die Karte seines Vaters 1683 als „renovirt" neuerdings auf den Markt zu werfen, mag wegen der schon erwähnten Abnutzung der Platte keinen grossen Erfolg gehabt haben; dagegen beruht die gegenüber der Beschenkung Visschers sonderbare Angabe von Haller, es sei die Erlaubniss zum Drucke der Gyger'schen Karte erst 1684 III 24 gegeben worden, auf einer Verwechslung mit der damals für den Druck der Cantonskarte gegebenen Bewilligung (12).
— Im Juni 1659 ertheilte die Berner-Regierung dem Präfecten von Lenzburg den Auftrag: „Sölle mit dem Mathematico Geiger von Zürich sich erkundigen wie vill er nemmen wölte die Graffschafft Lentzburg in ein Grundtriss zu leggen und uff ein Carten zu bringen." Es scheint jedoch nichts abgeschlossen worden zu sein; dagegen war (13), als im Herbst desselben Jahres Zürich mit Bern einen Vertrag über „Bestellung der Wachtfewren Zürich gegen Bern et contra" abschloss, Gyger der Zürcher-Verordnete zu der desswegen abgehaltenen Conferenz.

Als Gyger im Jahre 1668 seine grosse, sofort einlässlich zu besprechende Lebensaufgabe gelöst hatte, setzte er sich zur wohlverdienten Ruhe, und genoss dieselbe noch bis zu seinem am 25. September 1674 erfolgten Tode, getragen von der allgemeinen Achtung, welche er sich sowohl durch seinen Charakter als durch seine Arbeiten erworben hatte.