Kapitel IX. Der Schweizer-Atlas von Meyer.

 

79. Joh. Heinrich Weiss.

Zu Strassburg im Jahre 1759 geboren, machte sich Joh. Heinrich Weiss als topographischer Zeichner bekannt, wurde an Meyer in Aarau empfohlen, und von diesem etwa 1785 zur Mithülfe an dem beabsichtigten Relief der Schweiz engagirt, von dem im Folgenden einlässlich gesprochen werden wird (1).

Noch ehe der damit in engster Verbindung stehende Atlas der Schweiz im Stiche vollendet war, brach die Revolution aus, und Weiss trat nun als „Ingenieur-Géographe" in französische Dienste, fand aber nebenbei noch Zeit das im Dienste und auf Kosten von Meyer gesammelte Material, ohne dessen Vorwissen und Erlaubniss, in eigenem Nutzen zur Entwerfung einer Generalkarte der Schweiz zu benutzen, welche unter dem Titel
„Nouvelle Carte hydrographique et routière de la Suisse levée et exécutée par J. H. Weiss, Ingenieur Geographe à l'Etat Major Général de l'Armée du Rhin. A Strasbourg. An 8me Repain" erschien.

Es ist ein Blatt von 86½ auf 56½ cm., das nicht gerade ein schönes, aber doch ein ziemlich lesbares Bild der Schweiz gibt, und in Beziehung auf Genauigkeit der Anlage einen kleinen Fortschritt gegen die früher besprochene Karte von Mallet vom Jahre 1798 zeigt, — aber, da namentlich die grossen Fehler im Veltlin stehen geblieben sind, im südöstlichen Viertel immer noch einen so grossen mittlern Fehler zeigt, dass diese Karte noch nicht als eine gute Leistung betrachtet werden darf (2).

Zur Charakteristik des Verfertigers dienen ausser dem Titel der Karte noch verschiedene auf derselben angebrachte Notizen. So liest man in einem „Avertissement" unter Anderm:
„Les bases qui ont servi de fondement aux opérations de cette Carte sont marquées par un trait fort", und findet dann wirklich die von Tralles bei Thun und zwischen Kölliken und Suhr gemessenen Grundlinien (3) auf solche Weise eingetragen, — ja noch eine dritte „Base" am Baldegger-See, von deren Messung über Berg und Thal aus naheliegenden Gründen nie etwas ruchtbar geworden ist (4).
Ferner in den „Notes géographiques", welche in nicht sehr klarer Weise von der angewandten Kartenprojection sprechen:

„Le premier Méridien pour la projection a été établi sur un vieux château a Arau d'ou l'on pouvait découvrir plusieurs objets détermines. L'observatoire de Genève faisant partie des triangles, de sa longitude connue, on a conclue la différence en degrés du château d'Arau."

Da Weiss überdiess noch eine Tafel der Längen und Breiten von 90 der „ principaux endroits" der Schweiz gibt (5), so soll der Käufer der Karte offenbar glauben, dass dieselbe auf trigonometrischen und astronomischen Operationen beruhe, von deren Ausführung aber die Geschichte begreiflich ganz schweigt (6). Man kann nur bedauern, dass sich Weiss auf solche Weise mit fremden Federn zu schmücken suchte, anstatt einerseits s. Pflichten gegen Meyer zu erfüllen, und anderseits sich mit dem Verdienste zu begnügen, dass er die Darstellung des Terrains merklich besser als s. Vorgänger zu geben vermochte (7). —

In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts arbeitete Weiss unter Bonne an der Aufnahme von Bayern, aber nicht zu besonderer Zufriedenheit s. Obern; denn in einem Schreiben, das Bonne am 13 Pluviôse An 11 (1803 II 2) aus München an General Sanson abgehen liess, liest man unter Anderm (8):

„Nous nous proposons tous d'apporter la plus grande activité aux travaux de la campagne qui va s'ouvrir, afin de terminer en 1803. Il est donc très essentiel que les moyens qui m'ont été accordés soient assez tôt à ma disposition, que le Cen Weiss soit remplacé par un Ingénieur habile au figuré du terrain, et que le Cen Jomard, s'il doit quitter la Bavière, soit également remplacé par un Ingénieur capable",
— und in seinem von ebendaher am 10 Ventôse An 11 (1803 III 1) erstatteten Jahresberichte in dem Abschnitte über die secundäre Triangulation (9):

„Le Cen Weiss et quatre Ingénieurs Bavarois ont été employés pendant toute la campagne de l’an 10 au choix et à la détermination des triangles secondaires. Le Cen Weiss observait avec un sextant de Troughton de 6 pouces de rayon. On pourrait désirer plus de précision dans ses triangles dont l'erreur sur la somme des trois angles va quelques fois jusqu'a 55 secondes sexagésimales", wozu er im folgenden Jahresberichte noch beifügte (10): J'ai été obligé de revoir et de rectifier les triangles de M. Weiss". —

Später arbeitete Weiss, wie wir später im Detail hören werden (11), zu verschiedenen Malen unter Henry und Delcros an der Aufnahme der Schweiz, — machte auch viele der französischen Feldzüge mit, — und avancirte bis zum Genieoberst. Nach dem Sturze des ersten Kaiserreiches nahm er s. Entlassung vom Militär und beschäftigte sich wieder mit topographischen Arbeiten, — erst auf eigene Rechnung, unter Anderm 1816 ein auf dem Rigi aufgenommenes „Panorama des hautes Alpes" in drei Blättern herausgebend, — nachher für die Buchhandlung Herder zu Freiburg im Breisgau, für welche er namentlich einen Atlas von Europa bearbeitete, und hierauf einen Specialatlas von Deutschland herauszugeben begann, welchen sodann nach seinem 1826 erfolgten Tode Wörl fortsetzte (12). —

Sein Sohn, Victor Weiss (13), schien erst die Liebe zur Topographie von ihm ererbt zu haben, wie diess
— durch die „Carte physique et minéralogique du Mont St Gotthard et des montagnes et vallées qui l’environnent. Dessinée par V. Weiss aux frais de J. J. Waibel Minéra-logiste à Basle", ein aus Blatt 11 des Meyer'schen Atlasses gezogenes, von Bienz in Basel lithographirtes Blatt von 40 auf 34 cm. mit ganz ordentlicher Gebirgszeichnung (14),
— und sodann durch die ebenfalls von ihm herausgegebene Karte „Der Canton Bern. Nach den vorzüglichsten Materialien und den neusten authentischen, bisher noch unbenutzten Auf-nahmen bearbeitet", ein von W.Schaarer in Stein gestochenes hübsches Blatt von 56½ auf 61 cm., das zunächst auf den Karten von Messmer-Trechsel (15) und Buchwalder (16) beruht, und somit allerdings kein besonderes Verdienst beanspruchen kann (17),
— belegt wird.

Später trat er jedoch in das, in Neapolitanischen Diensten stehende Berner-Regiment ein (18), stieg in demselben zum Oberst auf, und befasste sich weiter nicht mehr mit Topographie.