Kapitel V. Spätere Detailarbeiten

 

38. Die beiden Fatio.

Zu Basel, wo sich ihre, wegen Uebertritt zur reformirten Kirche aus Chiavenna vertriebene Familie vorläufig eingebürgert hatte, in den Jahren 1656 und 1664 geboren, bezogen die beiden Brüder Joh. Christoph und Nicolaus Fatio schon Anfangs der 70ger Jahre des 17. Jahrh. mit ihrem Vater die von diesem angekaufte Herrschaft Duillier bei Nyon, hielten sich aber auch häufig in Genf auf, wo sie 1678 als Bürger angenommen wurden.

Beide Brüder werden als ausserordentlich begabt bezeichnet, jedoch war der ältere mehr praktisch, der jüngere mehr theoretisch angelegt:
Joh. Christoph Fatio wurde Ingenieur, leistete bei der Befestigung von Genf ausgezeichnete Hülfe, machte zunächst die sofort im Detail zu besprechenden Beobachtungen und Vermessungen, und hielt sich bis zu seinem 1720 erfolgten Tode fast ausschließlich in Genf und Duillier auf;
Nicolaus Fatio dagegen, der schon in seinem 17. Jahre mit Cassini in Correspondenz trat, im Winter 1682/83 durch ihn in die praktische Astronomie eingeführt wurde, und vom Frühjahr 1683 hinweg an Entdeckung und Studium des Zodiakallichtes hervorragenden Antheil nahm, machte sich, später abwechselnd in Holland, England und Duillier lebend, obschon er auch theilweise mit s. Bruder zusammenarbeitete, doch namentlich mit den damals neu auftretenden mathematischen Methoden, mit der Newton'sehen Naturphilosophie und mit den Grundprincipien der Molecularphysik zu schaffen, leistete nach diesen Richtungen zum Theil ganz Ausgezeichnetes, und ist wohl nur darum weniger bekannt geblieben, weil er später, ehe es ihm vergönnt war gerade seine wichtigsten Arbeiten zu vollenden und zu publiciren, zeitweise an Geistesstörung litt, sich verleiten liess der berüchtigten Sekte der Camisarden beizutreten, und so 1753 in Maddersfield bei Worcester zu einer Zeit starb, wo er bereits halb vergessen war (1).

Als Nicolaus Fatio im Frühjahr 1684 von Paris nach Duillier zurückkehrte, brachte er mehrere vorzügliche Instrumente mit sich, unter Anderm einen dreifüssigen Quadranten des damals in Paris lebenden und für Theilungen sehr berühmten Mechanikers Butterfield (2). Mit diesen Instrumenten stellten nun die beiden Brüder in Duillier (3) wiederholt Beobachtungen an, und fanden namentlich schon damals für die Breite von Duillier den nahe richtigen Werth von 46° 23' (4) — während die erste Bestimmung des Mittagsunterschiedes gegen Paris den um etwa 3m zu kleinen Werth von 13m ergab, der dann später von Christoph nach neuen Beobachtungen bis auf 17m erhöht wurde, also um etwas zu viel, aber doch so, dass die Ortsbestimmungen der Fatio zu den besten aus jener Zeit gezählt werden dürfen. (5) Ferner wurden dieselben Instrumente zu trigonometrischen Höhenbestimmungen verwendet, welche, da sie zu den ersten in unserm Lande gemachten gehören, ein besonderes Interesse in Anspruch nehmen: Sie fanden z. B. dass die Dôle sich 654t, die Montagne maudite oder der Montblanc sich mindestens 2000 t über den See erhebe (6).

Endlich bleibt zu erwähnen, dass Christoph Fatio unbestritten das Verdienst zukömmt etwa von 1699 hinweg eine Karte des Genfersees und s. nächsten Umgebungen entworfen zu haben. In wie weit er dabei geometrische Methoden anwandte scheint nicht bekannt zu sein, und da s. Karte nur in einer Zusammenstellung veröffentlicht wurde, welche Antoine Chopy (7) 1730 unter dem Titel „Carte du lac de Genève et des pays circonvoisins où se trouvent les frontières de France, de Savoye et de Suisse avec le territoire de la république de Genève, le tout dressé sur plusieurs Cartes Mss, et en particulier sur celles de Mr. J. C. Fatio et de Mr. J. G. de Roveréa (8), et présenté à la République de Genève par Antoine Chopy" theils selbstständig publicirte, theils Spon's Geschichte von Genf beilegte, so weiss man nicht einmal ganz genau für welche Angaben Fatio als Gewährsmann anzusehen ist. In Beziehung auf diese 80 auf 56 cm. haltende Karte von Chopy, welche von Daudet in Lyon gestochen wurde, mag es zu bemerken genügen, dass sich nach ihrer ganzen Anlage kaum entscheiden lässt, ob ihr durchweg eigentliche Messungen zu Grunde liegen (9), — dass sie aber im Allgemeinen keinen Übeln Eindruck macht, — und zur Zeit ihres Erscheinens beifällig genug aufgenommen wurde, um Chopy das Genfer-Bürgerrecht einzutragen (10).