Kapitel X. Die Messungen von Tralles und Hassler.

 

90. Die Messungen bei Thun.

Eines der Hauptverdienste von Tralles um seine neue Heimat war, dass er den Grund zu einer allgemeinen Landesvermessung legte, zumal diess, wie schon B. Studer bemerkte (1), einer der ersten Versuche war „der in der Schweiz gemacht wurde in grossartiger Anstrengung für höhere wissenschaftliche Zwecke mit den gebildeten Staaten in Europa Schritt zu halten". —

Die ersten betreffenden Arbeiten unternahm Tralles 1788 im Berner-Oberlande, indem er mit einer Ramsden'schen Stahlkette von 100 Fuss Länge, wie wir alsbald noch des Genauem hören werden, sehr sorgfältig und mit Berücksichtigung der Temperatur, der Undulationen des Terrains etc. zuerst zwei Grundlinien in der Nähe von Thun maass, dann mit Hülfe eines von Hurter bezogenen englischen Theodoliten ein an diese Grundlinien gelehnte Dreiecksnetz, sowie die zugehörigen Höhenwinkel bestimmte, und so durch Berechnung die gegenseitige Lage und die Höhendifferenzen einer ziemlichen Reihe von Punkten bestimmen konnte, unter denen sich die bedeutendsten Spitzen der Berner-Hochalpen befanden.

Natürlich wurden letztere nur anvisirt, nicht bestiegen; aber immerhin besuchte wenigstens Tralles mit seinem Theodoliten den Hohgant und Niesen, das Stockhorn und Morgenberghorn, und war so wohl der Erste, welcher in unserm Lande in solcher Höhe mit grössern Instrumenten operirte, — wobei nicht zu vergessen ist, dass die Bergreisen und der entsprechende Transport von Instrumenten zu jener Zeit ganz andere Schwierigkeiten darboten als jetzt.

Da überdiess die Oberländer, welche Tralles für einen fremden Spion hielten, der das Land auskundschaften wolle, ihn nicht nur in keiner Art unterstützten, sondern ihn ausspotteten (2), und ihm, was noch viel ärger war, die Signale ausrissen, etc., so kann man begreifen, dass er sehr froh war, als er s. Arbeit so weit geführt hatte, um derselben einige erste Resultate entnehmen, und in s. Schrift „Bestimmung der Höhen der bekanntern Berge des Kantons Bern. Bern 1790 in 8“ veröffentlichen zu können.

Er ging in dieser Letztern ziemlich einlässlich auf die bei s. Messungen und Rechnungen befolgten Methoden ein, so dass wir derselben z.B. über die Basis-Messungen folgenden Bericht verdanken (3):

Am 11. Juni 1788 wurde die Messung am westlichen Ende der Basis, das durch den Mittelpunkt des Kopfes eines in die Wurzel einer Eiche eingeschlagenen eisernen Nagels bestimmt war, begonnen (4).
„Vermittelst eines um eine horizontale Queraxe sich drehenden Fernrohrs, welches über dem Anfangspunkte der Basis stand, wurde der Ort eines ohngefähr 660' entfernten Punktes in der Linie (d.h. der geraden nach dem östlichen Endpunkte, wo ein Signal errichtet war) bestimmt, wo ein Pfahl in die Erde geschlagen wurde, um den das Ende einer mehr als 660' langen starken Schnur gezogen wurde, deren Anfang beim Anfangspunkt der Basis befestigt war.
An der so genau als möglich gespannten Schnur
(5) wurden die Unterlagen für die Kette (6) gelegt, welche 30' lange Latten waren, die, wenn das Erdreich ungleich erhaben war, auf vorher in der Linie geschlagenen Stützen ruhten und beständig dadurch dicht an die gespannte Schnur gehalten wurden.

Allein die Ungleichheiten waren selten, und nur bei drei Kettenzügen hatte man 4' hohe Unterstützung nöthig. Gewöhnlich war der Boden ziemlich eben, so dass die Latten an einigen Orten ihn berührten, an andern durch Keile und dazu gemachten kleinen treppenförmigen Stützen in die gehörige gerade Linie gebracht wurden.
So konnten drei Lager für die Kette auf einmal gemacht werden. Die Kette selbst wurde nun auf ihr Lager gelegt, und so dicht an der Schnur, d ass sie die Kette fast durchgängig berührte.

Der Anfangspunkt der ersten Kette war vom Mittelpunkt des Nagels 34" 5'" gegen das östliche Ende zu entfernt. Neben der Kette und mit ihr in Berührung lagen an zwei verschiedenen Orten zwei Thermometer vor den Sonnenstrahlen geschützt.
Wenn die Kette mittelst der Handgriffe an ihren Enden durch zwei Männer gespannt worden war, überliess man sie ihrem natürlichen Zustande.

Dann wurden neben dem Punkt bei 100' zwei hölzerne Pflöcke auf beiden Seiten der Schnur in den Boden getrieben, bis ihr Ende etwas niedriger war, als die Kette lag. In jeden der Köpfe dieser Pflöcke wurde ein dünner an den Enden spitzer Stahlcylinder so gesteckt, dass ein feiner Faden um dieselben gespannt, rechtwinklig durch die Linie der Kette gieng, und auf dieser den Punkt bei 100 genau bedeckte (7).

Wenn alles richtig gefunden, nahm ich meine Thermometer von der Kette und schrieb den angezeigten Grad der Wärme auf. Nun wurde die Kette um ihre Länge fortgerückt, so dass der Punkt bei 0 da zu liegen kam, wo vorher der andere Punkt gewesen war.

Auf den eingeschlagenen Pflöcken am andern Ende wurden jetzt Stahlcylinder, wie vorher beschrieben, gesteckt, um das Ende der zweiten Kettenlänge zu bestimmen, und so gieng die Ordnung auch in der Folge", — bis endlich die 75. Kette gelegt war deren Ende von dem Endpunkte der Basis, der an einem starken Gatter markirt war, noch um 46' 4" 10'" abstand.

Schliesslich wurde noch die Basis nivellirt, um die relativen Höhen der 11 Hypotenusen zu bestimmen, und nach gehöriger Reduction (8) als Länge der Basis bei 16°,5 R die Zahl 7556',73 erhalten. In derselben Weise wurde für die Hülfs- oder Control-Basis die Länge 6463',93 gefunden (9). —

Der Bestimmung der absoluten Berghöhen und der Orientirung des s. Schrift beigelegten Specimens einer Oberlandskarte legte Tralles durch ihn selbst abgeleitete Coordinaten von Bern zu Grunde, über deren damals von ihm angenommenen Betrag und spätere Revision hier noch Folgendes beigebracht werden mag:

Die Höhe über dem Meere berechnete er aus 12jährigen Beobachtungen, welche Ober-Commissarius von Manuel (10) im untersten Stockwerke des Bürgerspitals in Bern gemacht hatte, und die eine mittlere Barometerhöhe von 26",385 Par. bei einer mittlern Luftwärme von 6°,84 R. ergaben, zu 1708',5 Par., und leitete daraus als Höhe des Thuner-Sees 1780' Par. ab (11). —

Die Länge des Berner-Münsters hatte Tralles damals vorläufig, gestützt auf einige Jupiterstrabanten-Verfinsterungen, zu 25° 7' Ferro oder 20m 28s Paris angenommen; später fand er unter Beihülfe von Hassler 20m 25s als östliche Länge (12). —

Die Breite hatte damals Tralles im Mittel aus verschiedenen Beobachtungen zu 46° 57' 14" angenommen. Als er sodann aber (13) in den Jahren 1792 bis 1795 mit einem 16-zölligen Kreise von Cary (14) eine grosse Anzahl Culminationshöhen von Sternen und Circum-Meridianhöhen von Sonne und Polarsternen maass, — dabei zwischen Kreis Ost und Kreis West, sowie bei der Sonne zwischen oberm und unterm Rande wechselnd, die Bradley'sche Refractionstafel unter Anwendung thermometrischer und barometrischer Correction benutzend, kurz die äusserste Sorgfalt verwendend, — erhielt er im Mittel die Polhöhe 46° 56' 56",5, und glaubte aussprechen zu dürfen, dass dieselbe innerhalb einer Sekunde richtig, und kaum die Breite irgend eines andern Punktes der Schweiz mit solcher Sicherheit bestimmt sein dürfte (15).