Kapitel XIII. Die kantonalen Vermessungen.

 

111. Die Triangulation vom Kanton Bern.

Schon im Sommer 1808 hatte Lehenscommissär May (1) den Berner-Finanzrath auf die Nothwendigkeit einer genauem Kenntniss des Kantons aufmerksam gemacht, und gezeigt wie wesentlich es wäre die vielen in den Archiven liegenden Pläne zu sammeln, auf den gleichen Maassstab zu reduciren, und unter Grundlage eines Netzes von trigonometrisch bestimmten Punkten zu einem Ganzen zu vereinigen.

Da der Finanzrath den Vorschlag billigte, so stellte May im folgenden Frühjahr an Trechsel das Ansuchen einen „Plan einer trigonometrischen Aufnahme des Kantons Bern" zu entwerfen, und hierauf schlug Letzterer vor die alte Tralles'sche Basis aufzusuchen und zu verificiren, — an dieselbe eine primäre und secundäre, ja für die unbekanntern Bezirke noch eine tertiäre Triangulation anzuknüpfen, — überhaupt von dem Grossen auf das Kleine überzugehen; im Sommer 1809 möchte es jedoch nicht mehr möglich werden die grosse Triangulation zu beginnen, dagegen möchte es noch angehen probeweise, und unter Anwendung einer auf dem Breitfeld zu messenden kleinen Basis und eines kleinen Theodoliten, den Amtsbezirk Bern zu trianguliren.

May befürwortete diesen Plan, und wurde dann wirklich ermächtigt, Trechsel die nöthigen Einleitungen, das Aufsuchen der Tralles'schen Basis und die Probe-Triangulation zu übertragen. Letzterer suchte nun im Herbst 1809 die Endpunkte der Basis auf dem Aarberger-Moose auf, fand sie unbeschädigt, und besuchte dann noch Osterwald in Neuenburg um von ihm verschiedene Aufschlüsse über die Arbeiten von Tralles und der französischen Ingenieure zu erhalten.

Nach s. Rückkehr schrieb er 1809 X 21 an May in Beziehung auf die Basis:
„Herr Osterwald versichert jene Linie wäre von den französ. Ingenieurs als eine Verificationslinie ihrer aus Elsass über den Jura vorgerückten Triangulation gebraucht, und mit ihren eigenen trigonometrischen Bestimmungen bis auf den unter solchen Umständen äusserst geringen Unterschied von 1 bis 2 Decimetres übereinstimmend gefunden worden" (2).

Ferner theilte er als Hauptresultat s. Unterredung Folgendes mit:
„Da die französischen Ingenieurs, deren Geschicklichkeit und Erfahrung in diesem Theil der angewandten Mathematik keinem Zweifel unterworfen sein kann, bereits seit mehreren Jahren eine ähnliche nur ohne Vergleichung grössere Arbeit angefangen hätten, welche sowohl in Rücksicht der äussersten Genauigkeit in Bestimmung der Hauptpunkte, von denen einige auf der Grenze unsers Kantons und innerhalb derselben liegen, — als auch in Rücksicht des Ganges der Aufnahme und der detaillirten Ausführung und Zeichnung nichts zu wünschen übrig lasse, so wäre es, um keine überflüssige, undankbare und immer sehr kostspielige Arbeit vorzunehmen, von der grössten Wichtigkeit, vor Allem aus — wo möglich — sowohl die auf unser Land Bezug habenden Triangulationen und Detailaufnahmen der Franzosen zur Hand zu bringen, als auch ihre weitern daherigen Absichten zu erfahren.

Denn nicht nur sei eine beträchtliche Anzahl grosser Dreiecke in dem nördlichen Theil unsres Landes bestimmt und an die grosse Basis im Elsass angeschlossen, sondern es seien bereits beträchtliche Districte längs dem Jura, unter anderm das ganze Amt Erlach von denselben en detail aufgenommen worden. Auch lasse es sich aus ganz bestimmten Aeusserungen mehrerer solcher Ingenieurs, und aus dem Fortbestehen eines eigenen „Bureau topographique de l'Helvétie sous la direction de Mr le Colonel Henry à Strasbourg“ mit Gewissheit schliessen, dass die daherigen Arbeiten, die wahrscheinlich nur durch den Krieg unterbrochen worden, gleich nach Beendigung desselben fortgesetzt werden dürften.

Herr Osterwald glaubt, wenn durch unsere hohe Regierung bei der Französischen um diese Mittheilung angesucht würde, so dürfte dieser Schritt um so günstiger aufgenommen werden, da bereits die Basis auf dem Moos, von welcher die franz. Ingenieurs Gebrauch machten, auf Befehl und Unkosten der damaligen Bernischen Regierung gemessen worden, und mithin eine Nationalarbeit sei, — da man ferner ähnliche Arbeiten und Winkelbestimmungen (von Tralles und Hassler) gegenseitig anbieten könne und überhaupt eine gegenseitige Mittheilung und Verbindung beider Regierungen in der Natur der Sache zu liegen scheine. —

So viel sei indessen gewiss, dass der Chef jenes bureau topographique auf blosse Privat-Ansuchen seiner sehr bestimmten Instruction zufolge nicht eintreten dürfe, und dass also auf jeden Fall ein offizieller Schritt an die Französische Regierung vorausgehen müsse, um ihre Gesinnung über diesen Punkt zu erfahren" (3).

Endlich fügte Trechsel noch bei:
„Herr Osterwald schloss seine lehrreiche Unterredung über diesen Gegenstand mit dem freundschaftlichen, uneigennützigen Anerbieten aller seiner eigenen daherigen Arbeiten, Winkel-Cahiers und des Hauptdreiecknetzes, welches seiner Karte zu Grunde ligt, — welches letztere nebst den darauf Bezug habenden Winkel-Bestimmungen ich mir denn auch wirklich ausbat." —

Es wurde hierauf Trechsel beauftragt im folgenden Jahre (1810) gute Dreieckspunkte aufzusuchen und vorläufig im Amtsbezirk Bern einige Probedreiecke zu messen, soweit es mit den vorhandenen Instrumenten möglich sei, und 1811, nachdem ein auf s. Wunsch dafür bei Reichenbach bestellter 12zölliger Theodolit angelangt war (4), konnte er die eigentliche Arbeit beginnen, über deren Erfolg er sodann 1812 l 15 an Feer in folgenden Worten referirte:

„Der hiesige Finanzrath hat gewünscht, dass ich durch Bestimmung einiger grosser Dreiecke den Grund zu einer trigonometrischen Aufnahme unsers Kantons legen möchte. Im verflossenen Sommer ward der Anfang dazu gemacht.

Die Anwesenheit der franz. ing. geogr. Delcros und Weiss, welche auf mehreren Hauptpunkten grosse Signale errichteten, begünstigte die nähere Bestimmung sowie die Ausführung des Operationsplanes, da sich hingegen eine Unterhandlung mit dem bureau topographique in Strassburg um gegenseitige officielle Mittheilung wegen überspannten Forderungen und diplomatischen Förmlichkeiten zerschlug.

Sechs unserer Hauptdreiecke bilden am Belpberg, wo auf dem Gewölbe eines ehemaligen Wachthauses ein Observatorium von Zimmerarbeit errichtet ist, ein hübsches Polygon, das freilich am hiesigen Münsterthurme noch schöner ausgefallen wäre, wenn dieser eine gleich freie Aussicht und Bequemlichkeit zum Beobachten hätte.

Unsere ganze Operation geht von der grossen Basis aus, welche Tralles 1791 zum ersten Mal und 1797 zum zweiten Mal mit grosser Sorgfalt und Genauigkeit gemessen hat (5). Die Franzosen wollen zwar nicht ganz an die Richtigkeit dieser Basis glauben (6); allein ich vermuthe, der Grund der Nichtübereinstimmung ihrer Bestimmung mit der unmittelbaren Messung liege in einer fehlerhaften Beobachtung des Winkels am Sugy zwischen Chasseral und Walperswyl.

Wenigstens trifft meine Bestimmung der Seite Chasseral-Röthifluh so genau mit der Bestimmung dieser Distanz vom Elsass her zusammen, als sich nur immer bei der Differenz der Niveaux beider Basen erwarten lässt." —

Netz des Kantons Bern

Es kann sich hier nicht darum handeln den weitern Verlauf dieser Triangulation, deren Anlage aus der beigegebenen Skizze (m = 5) zu entnehmen ist (7), Schritt für Schritt zu verfolgen (8), sondern es mag genügen anzuführen, dass Trechsel, ohne s. Lehrthätigkeit zu unterbrechen, dieselbe bis 1818 im Wesentlichen vollendet hatte, — dass er für die Gebirgsgegenden und secundären Triangulationen an Frey und Diezinger von Zürich, Lüthardt und Wagner von Bern tüchtige Hülfe hatte (9), — dass unter s. Leitung die Oppikofer, Schumacher, Müller, Messmer, etc. an der Aufnahme und Ausfertigung von Detailplänen arbeiteten (10), — und dass er durch den schon erwähnten Lehenscommissär May, sowie durch dessen Nachfolger Wyss (11) fortwährend allen möglichen Vorschub erhielt.

Dagegen darf, um die Leiden und Freuden eines Trigonometers in den Alpen deutlich vor Augen zu führen, nicht unterlassen werden noch folgende Stelle aus einem 1815 VIII 14 von Trechsel aus Bönigen an May erstatteten Berichte beizufügen (12):

„Regen, Nebel, Hagel und Schnee lösen sich seit meinem hiesigen Aufenthalt ohne Unterlass ab, — die Atmosphäre ist in einem ganz ausserordentlichen Zustand von Erschlaffung, und scheint sich fast nicht mehr erholen zu können.

Die Berge sind unaufhörlich im Nebel, und zeigen nur auf Augenblicke ihre tief herunter beschneyten Gipfel, — die Heerden ziehen sich ganz in die Thäler hinunter, — das wenige Heu an den Berghalden verfault noch vollends. Nur zwei einzige schöne Tage erlebte ich seit meinem Hiersein, Freitag und Samstag den 4. und 5. diess.

Voll froher Hoffnung brach ich am ersten derselben nach dem Hohgant auf, in Begleitung des jungen Herrn Sinner von Aarburg und Herrn Hopf, Lehrer der Mathematik in Burgdorf.

Samstag Morgens bei Sonnenaufgang waren wir auf der Spitze bei der Steinpyramide von Tralles. Ein heftiger Westwind verhinderte bis gegen 8 Uhr die Aufstellung und Reglirung des Instrumentes, und verkündigte uns mit dem getrübten westlichen Horizont wenig guten Trost. Bis 5 Uhr Abends stand ich unausgesetzt auf dem Anstand hinter dem Instrumente und beobachtete mehrere Hauptwinkel, ohne jedoch diese sehr ergiebige Station auch nur zur Hälfte beseitigen zu können.

Nun war es aber hohe Zeit herunterzusteigen, und in den Alphütten des Aellgäues, eine gute Stunde unten am Fusse der eigentlichen Hohgant-Felskuppe, gegen das heranziehende Gewitter Schutz zu suchen. Wir trafen keine Minute vor dem Ausbruch eines schrecklichen Hagelwetters daselbst ein. Die Hütte war leer, — die Sennen denselben Tag abwärts gezogen. Die ganze Nacht tobte der Sturm; so fürchterlich hörte ich den Donner nie brüllen.

Der folgende Tag ein Regentag kalt und unlustig. Herr Hopf schied von uns.

Am Montag schneite es ohne Aufhören, wie tief im Winter; um die Hütte lag der Schnee mehr als ½ Fuss hoch, — am Dach hingen Eiszapfen, — das Thermometer zeigte um 8h Morgens -1,5°, und stieg den ganzen Tag, selbst in der Hütte, nie auf 0°. Das Barometer war von 276,60 auf 272,12'" gefallen, und hielt sich in dieser Tiefe fast unwandelbar. Ich beschloss einstweilen auszuhalten, und auf besseres Wetter zu warten, was sonst in der Regel auf Schnee im Sommer zu folgen pflegt. Unser Aufenthalt in der nicht ganz schlechten Hütte war erträglich; Lebensmittel wurden aus einer Alp und aus Habchern heraufgeholt.

Mittwoch und Donstags dichter Nebel um und um. Salz und etwas mitgenommener Zucker zerflossen fast ganz in der feuchten Luft. Ich musste alle stählernen Theile meiner Instrumente mit Fett überziehen um sie gegen das Rosten zu schützen.

Freitags Regen bis gegen Abend, wo einige matte Sonnenblicke und Lichtstreifen gegen Westen uns auf einmal wieder einige Hoffnung fassen liessen. Nur das Barometer blieb hartnäckig; gegen die Nacht fiel es sogar wieder um etwas, die Nacht durch eine ganze Linie, —

Samstag Morgens waren wir neuerdings eingeschneit. Nun wurde denn nach einem neuntägigen, ich kann sagen, Winteraufenthalte in dieser öden Wildniss der nicht wenig mühsame, und für die Instrumente gefährliche Rückzug durch Schnee, sumpfige Gründe, angelaufene Bäche, schlüpfrige Berghalden, etc. angetreten, und glücklich vollendet." —

 

Als ein ganz artiges Nebenprodukt der Triangulation ist die von Messmer sauber gezeichnete, und sodann 1824 von L. A. Haller in Bern in Stich von J. Scheurmann ausgegebene
„Karte des Berner-Oberlandes nach den trigonometrischen Vermessungen in den Jahren 1811 bis 1813" zu erwähnen, — ein Blatt von 50 auf 41 cm., das eine für die Art s. Entstehung ganz ordentliche Anlage hat (13).

Ein 1826 von der Seckelschreiberei an den Finanzrath erstatteter Bericht erzählt nämlich:
„Bey der Leichtigkeit, mit welcher in Gebirgsgegenden von den hohen Stationen topographische und Situationszeichnung von freyer Hand aufgenommen werden kann, schien es zweckmässig den Herren Ingenieurs diese Zeichnung aufzutragen, um dann die trigonometrischen Netze mit derselben ausfüllen zu können.
Auf diese Weise sind neun Karten entstanden, welche die ganze südliche Cantonshälfte umfassen, jedoch von ungleichem Werthe sind. Durch Reduction und Zusammenstellung dieser Karten durch Herrn Messmer ist seither im Jahre 1824 die sehr brauchbare Generalkarte der südlichen Kantonshälfte von Herrn Haller, als ein dem Publikum willkommenes Geschenk herausgekommen." —

Eigentlich ausgenutzt wurde dagegen die Triangulation nicht, obschon Wyss wiederholt dazu drängte, und noch 1828 III 12 in einem Berichte ganz richtig sagte:
„Eine Triangulation ist für sich selbst nichts. Sie ist nur ein mathematisches Mittel, durch welches eine Planimetration eines grössern Landstrichs ohne Verschiebungen möglich wird.
Wird eine Triangulation entweder überhaupt nicht benutzt, oder lässt man sie während so langer Zeit unbenutzt, dass nach und nach die Versicherungen der Signalpunkte verloren gehen, und dadurch die Benutzung ganz unmöglich gemacht wird: so sind in bejden Fällen die auf die Triangulation verwandten Kosten, welche sich für die hiesige auf etwa Fr. 40’000 belaufen werden
(14), ganz fruchtlos ausgegeben worden."

Man scheint zwar die Richtigkeit s. Bemerkungen eingesehen und daran gedacht zu haben durch Lüthardt oder Buchwalder eine eigentliche topographische Aufnahme in Angriff nehmen zu lassen, aber zu einem bestimmten Entschlüsse kam es nie, — nicht einmal zur Aufstellung der von Wyss schon damals, und dann wieder in einem Vortrage von 1834 VI 26 gewünschten Commission zur Feststellung des Zweckes und Operationsplanes (15), — man überliess die Lösung der Aufgabe einer spätem Zeit, für die sich dann allerdings die Prophezeiung von Wyss bereits reichlich erfüllt hatte (16).